Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
darüber, was wir gemacht haben. Nichts.« Sie holte Luft, nahm sich vor, ruhig zu bleiben. Ihr wurde immer noch ab und zu schwindlig, aber ansonsten fühlte sie sich mit jedem Tag kräftiger, wodurch sie noch mehr unter ihrer Machtlosigkeit litt. »Wenn wir die Einträge nicht finden, können wir schlecht Anzeige erstatten, oder? Die Reaktion der Behörden kann ich mir gut vorstellen: ›Das ist eine sehr schwerwiegende Anschuldigung, Frau Sulaweyo, zumal du den fraglichen Netzknoten anscheinend niemals benutzt hast.‹ Es wäre zwecklos.«
»Ich wünschte, ich hätte eine Idee, Renie. Ich wünschte, ich könnte dir irgendwie helfen, aber das hier übersteigt meine noch sehr jungen Kenntnisse.«
»Du kannst mir helfen. Du kannst mir dabei helfen rauszufinden, was passiert ist. Ich hab noch nicht viel Mumm in den Knochen, und ich werde müde, wenn ich zu lange irgendwo draufstarren muß. Aber wenn du mir deine Augen leihst, können wir ein paar Sachen ausprobieren, zu denen ich bis jetzt noch keine Gelegenheit hatte. So leicht gebe ich nicht auf. Diese Schweine haben meinen Bruder krank gemacht, und um ein Haar hätten sie dich und mich auch erwischt.«
Renie ließ sich in die Kissen zurücksinken. Sie hatte ihre Medizin genommen, und wie üblich wurde sie davon müde. !Xabbu saß im Schneidersitz auf dem Boden, die Augen hinter der Datenbrille versteckt, während seine Finger mit überraschender Gewandtheit die Squeezertasten betätigten.
»So etwas, wie du es beschreibst, kommt nicht vor«, brach er ein langes Schweigen. »Keine Schleifen, keine Wiederholungen. Alle Spuren sind, wie du sagen würdest, eliminiert.«
»Scheiße.« Sie schloß abermals die Augen und versuchte, dem Problem irgendwie anders beizukommen. Irgend jemand hatte das ganze Protokoll darüber, was sie und !Xabbu getan hatten, beseitigt, ein neues gebastelt und dieses nahtlos anstelle des alten eingefügt. Die ganze Zeit, die sie im Club verbracht hatten, war jetzt so fiktiv und unbeweisbar wie ein Traum.
»Was mich erschreckt, ist nicht nur, daß sie dazu imstande waren, sondern vor allem die Tatsache, daß sie meine ganzen Tarnidentitäten zurückverfolgt und ebenfalls eliminiert haben. Eigentlich dürften sie nicht den Hauch einer Chance haben, das zu tun.«
!Xabbu bewegte sich immer noch durch die Datenwelt. Die Goggles sahen auf seinem schmalen Gesicht wie Insektenaugen aus. »Aber wenn sie diese falschen Identitäten gefunden haben, die du konstruiert hast, können sie die dann nicht zu dir zurückverfolgen?«
»Gestern hätte ich noch gesagt ›Nie im Leben‹, aber mittlerweile bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wenn sie wissen, daß es jemand aus der TH war, dürfte es ihnen auch ohne Einsicht in interne Unterlagen nicht sehr schwerfallen, den Personenkreis einzuengen.« Sie biß sich nachdenklich auf die Lippe. Es war kein angenehmer Gedanke; sie bezweifelte sehr, daß die Leute, die hinter Mister J’s standen, sich in ihren Einschüchterungsmaßnahmen auf ein Anwaltsschreiben beschränken würden. »Ich hab sie beim Basteln der Tarnidentitäten so weit von mir weggelotst, wie ich konnte, bin über öffentliche Knoten gegangen, alles, was mir nur einfiel. Ich hätte nie gedacht, daß sie mich schnurstracks zur TH zurückverfolgen könnten.«
!Xabbu gab auf einmal ein Geräusch von sich, ein leises Schnalzen der Überraschung. Renie setzte sich auf.
»Was ist?«
»Da ist etwas …« Er stockte, und seine Finger bewegten sich flink. »Da ist etwas. Was bedeutet es, wenn in deinem Büro ein orangefarbenes Licht aufleuchtet? Es blinkt wie ein Glühwürmchen! Es hat eben erst angefangen.«
»Der Virenprüfer hat sich eingeschaltet.« Renie beugte sich vor, ohne auf das eintretende Schwindelgefühl zu achten, und hob die zweite Datenbrille vom Boden auf. Sie zog den Y-Anschluß zwischen sich und !Xabbu straff. »Vielleicht versucht irgendwer, in mein System reinzukommen.« Ein Schauder durchfuhr sie. Hatten sie sie bereits aufgespürt? Wer waren diese Leute?
Sie befand sich wieder in der VR-Grunddarstellung des Systems, dem dreidimensionalen Büro. Ein kleiner rötlicher Punkt blinkte unentwegt, wie schwelende Glut in einem Braai. Sie tastete blind über !Xabbus Knie hinweg und drückte ein paar Tasten. Im Innern des virtuellen Raumes explodierte der leuchtende Punkt und überschwemmte einen Großteil des Büros mit einer Flut von Symbolen und Text.
»Was es auch sein mag, es ist bereits im System drin, aber es schläft
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