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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Meine Mutter, die ihren Vater nicht mochte und nicht achtete, weil er sie schlug, lief mit meinem Vater davon. Sie wollte lieber mit zu seinen Leuten gehen, als bei ihren eigenen bleiben.
    Obwohl er sie nicht drängte, ihre Familie zu verlassen, war er sehr glücklich, als sie mit ihm kam, denn von ihrer ersten Begegnung an war sie schön in seinen Augen. Er nannte sie Elentochter, und sie lachten zusammen, obwohl anfangs eines die Sprache des anderen nicht verstand. Als sie schließlich nach vieltägiger Wanderung seine Leute wiederfanden, staunte der Rest seiner Sippe über seine Geschichte und hieß meine Mutter willkommen und rühmte sie sehr. In der Nacht scholl der Donner über die Wüste, und der Blitz ging um. Der Regen war zurückgekehrt. Die Dürre war zu Ende.«
    !Xabbu schwieg. Renie wartete mit dem Fragen so lange, wie sie es aushielt.
    »Und dann? Was geschah dann?«
    Er blickte auf, und ein kleines, trauriges Lächeln spielte auf seinen Lippen. »Langweile ich dich nicht mit dieser langen Geschichte, Renie? Es ist bloß meine Geschichte, die Geschichte darüber, wo ich herkomme und wie ich hierherkam.«
    »Die Geschichte mich langweilen? Sie … sie ist wunderbar. Wie ein Märchen.«
    Das Lächeln verzitterte. »Ich habe angehalten, weil das ihr glücklichster Moment war, glaube ich. Als der Regen kam. Die Familie meines Vaters dachte, er hätte wahrhaftig die Tochter der Elen mitgebracht, er hätte ihnen das Glück zurückgebracht. Aber wenn ich weitererzähle, wird die Geschichte trauriger.«
    »Wenn du sie mir erzählen möchtest, möchte ich sie hören, !Xabbu . Bitte.«
    »Also.« Er breitete die Hände aus. »Danach war eine Zeitlang alles gut. Mit dem Regen kamen die Tiere zurück, und bald wuchsen auch die Pflanzen wieder – Bäume trieben neue Blätter, Blumen sprossen auf. Sogar die Bienen kehrten zurück und fingen an, ihren wunderbaren Honig zu machen und ihn in den Felsspalten zu verstecken. Das war wirklich ein Zeichen, daß das Leben dort an jenem Ort stark war – es gibt nichts, was die Buschleute so gern mögen wie Honig, und deshalb lieben wir auch den kleinen Vogel, der Honiganzeiger genannt wird. Alles war also gut. Bald darauf zeugten meine Mutter und mein Vater ein Kind. Das war ich, und sie nannten mich !Xabbu – das heißt ›Traum‹. Die Buschleute glauben, daß das Leben ein Traum ist, der uns träumt, und meine Eltern wollten Zeugnis für das Glück ablegen, das der Traum ihnen beschert hatte. Andere in der Familie bekamen ebenfalls Kinder, und so verbrachte ich meine ersten Jahre unter gleichaltrigen Spielgefährten.
    Dann geschah etwas Schreckliches. Mein Vater und sein Neffe waren auf der Jagd. Sie hatten Jagdglück gehabt und ein schönes großes Hartebeest erlegt. Sie freuten sich, weil sie wußten, daß es bei ihrer Rückkehr einen Festschmaus geben würde und daß ihre Familien an dem Fleisch mehrere Tage lang reichlich zu essen hätten.
    Auf dem Rückweg stießen sie auf einen Jeep. Sie hatten von solchen Dingen gehört, aber noch nie einen gesehen, und zuerst scheuten sie sich, nahe heranzugehen. Aber die Männer darin – drei schwarze Männer und ein weißer, alle groß, alle städtisch gekleidet – waren deutlich in Gefahr. Sie sahen aus wie Leute, die bald sterben würden, wenn sie kein Wasser bekamen, und darum gingen mein Vater und sein Neffe zu ihnen hin und halfen ihnen.
    Diese Männer waren Wüstenforscher von einer der Universitäten – ich würde vermuten, sie waren Geologen, die nach Öl oder nach sonst etwas suchten, was für Stadtmenschen wertvoll ist. Ihr Jeep war vom Blitz getroffen worden, und der Motor wie auch der Funk waren beide kaputt. Ohne Hilfe wären sie zweifellos umgekommen. Mein Vater und sein Neffe führten sie zu einer kleinen Handelsstation am Rand der Wüste. Sie hätten das nicht gewagt, wenn mein Vater sich nicht erinnert hätte, daß er die Wüste schon einmal verlassen hatte, ohne Schaden zu nehmen. Mein Vater hatte vor, sie in die Nähe der Siedlung zu bringen und sie dann das letzte Stück allein gehen zu lassen, aber während sie noch gemeinsam dahingingen – sehr langsam, denn die Städter konnten nicht schneller –, kam ein anderer Jeep. Es waren Ranger, und obwohl sie über Funk Hilfe für die Männer anforderten, die mein Vater gerettet hatte, nahmen sie auch meinen Vater und seinen Neffen fest, weil sie ein Hartebeest getötet hatten. Das Hartebeest, mußt du wissen, wird vom Staat geschützt. Der Buschmann

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