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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aber nur deshalb, weil es in der Wüste nichts gibt, was die Städter haben wollen. Ich lernte in der Schule, daß es immer noch ein paar solcher Gegenden in der Welt gibt, ein paar Gegenden, wo kein Radio spielt, wo keine rollenden Räder ihre Spuren hinterlassen, aber diese Gegenden schwinden dahin wie eine Wasserlache auf einem flachen Felsen, die in der Sonne wegtrocknet.
    Aber die Leute meines Vaters konnten nur dadurch ihr Leben weiterführen und an den alten Bräuchen festhalten, daß sie sich weit fern von jedermann hielten, auch von denen unseres Blutes, die die Wüste und die heiligen Berge verlassen hatten. Einst war ganz Afrika unser, und wir durchstreiften es mit den anderen Urvölkern, mit der Elenantilope und dem Löwen, dem Springbock und dem Pavian – wir nennen Paviane ›die Leute, die auf den Fersen sitzen‹ – und mit allen anderen. Aber die letzten unserer Art müssen sich verstecken, um zu leben. Für sie ist die Stadtwelt wahrhaft Gift. Sie können ihre Berührung nicht überleben.
    Vor vielen Jahren, bevor du und ich auf der Welt waren, gab es eine fürchterliche Dürre. Sie verwüstete das ganze Land, am allermeisten aber die trockenen Gegenden, die Gegenden, wo nur die Leute meines Vaters lebten. Sie dauerte drei volle Jahre. Die großen Springbockherden verließen das Land, auch der Kudu und das Hartebeest, sie alle starben oder zogen fort. Und die Sippe meines Vaters litt. Sogar die Saugbrunnen, die Stellen, wo nur Buschleute Wasser finden können, trockneten aus. Die alten Leute hatten sich bereits der Wüste ausgeliefert, damit die jüngeren leben konnten, aber jetzt starben auch die jungen und starken. Die schon geborenen Kinder waren schwach und kränklich, und neue Kinder kamen keine, da unsere Frauen in einer großen Dürrezeit nicht mehr fruchtbar sind.
    Mein Vater war ein Jäger in der frühen Blüte seiner Jahre. Auf der Suche nach irgend etwas, was seiner Familie, seinen Brüdern und Schwestern, Nichten und Neffen helfen konnte, am Leben zu bleiben, wanderte er tagelang weit durch die Wüste.
    Aber jedesmal, wenn er auf die Suche nach Wild ausging, mußte er weiter wandern, und jedesmal konnte er weniger Nahrung mitnehmen, um auf der Jagd zu überleben. Die Straußeneier, in denen meine Leute Wasser transportieren, waren immer fast leer. Die anderen Jäger hatten auch nicht mehr Glück, und die Frauen arbeiteten tagtäglich von früh bis spät, gruben nach Wurzeln, die vielleicht die schreckliche Dürre überlebt hatten, sammelten die paar noch verbliebenen Insekten, damit die Kinder etwas zu essen hatten. Nachts beteten alle darum, daß der Regen endlich zurückkommen möge. Sie hatten keine Freude. Sie sangen nicht, und nach einer Weile erzählten sie sich nicht einmal mehr Geschichten. Das Elend war so groß, daß einige aus der Familie meines Vaters argwöhnten, der Regen habe die Erde endgültig verlassen und sei für alle Zeit irgendwo anders hingezogen, das Leben selbst gehe zu Ende.
    Eines Tages, als mein Vater auf der Jagd und schon sieben Tage von seinen Leuten fort war, bot sich ihm ein unfaßbarer Anblick – eine große Elenantilope, das wunderbarste aller Geschöpfe, stand am Rande einer Wüstenpfanne und knabberte an der Rinde eines dornigen Baumes. An einer Elen, das wußte er, hätte seine Familie tagelang zu essen, und sogar das Wasser aus dem in ihrem Magen noch erhaltenen Gras würde helfen, daß die Kinder ein bißchen länger am Leben blieben. Aber er wußte, daß es auch etwas Merkwürdiges hatte, dieses einzelne einsame Tier zu sehen. Die Elen zieht nicht in großen Herden wie die anderen Antilopen, aber wo sie hingeht, geht ihre Familie mit, genau wie bei unserem Volk. Außerdem war diese Elen nicht krank, trotz der schrecklichen Dürre standen ihre Rippen nicht heraus. Er fragte sich, ob dieses Tier vielleicht ein besonderes Geschenk von Großvater Mantis war, der die allererste Elenantilope aus dem Leder von Kwammangas Sandale gemacht hatte.
    Während er noch überlegte, erblickte ihn die Elen und floh davon. Mein Vater nahm die Jagd auf.
    Einen ganzen Tag lang folgte er der Elen, und als sie schließlich stehenblieb, um sich auszuruhen, schlich er sich so nahe heran, wie er konnte, bestrich dann einen Pfeil mit seinem stärksten Gift und ließ ihn fliegen. Er sah den Pfeil treffen, bevor die Elen davonlief. Als er zu der Stelle ging, wo sie gestanden hatte, lag der Pfeil nicht da, und sein Herz schlug hoch. Er hatte mit seinem Schuß getroffen. Er

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