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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schnabel fast die Brust antippte. »Haben wir die Kontrolle über unsere eigenen virtuellen Environments verloren? Das wäre außerordentlich besorgniserregend. In dem Fall müßte ich mir sehr genau überlegen, ob ich mein Engagement aufrechterhalten kann. Wir müssen mehr Kontrolle über den Ablauf haben, als dies zur Zeit der Fall ist.«
    Osiris setzte zu einer Entgegnung an, aber Ptah kam ihm zuvor. »Auf der Schwelle zu einem Paradigmenwechsel gibt es immer Störungen«, sagte er, »ähnlich den Turbulenzen am Rand einer Wetterfront. Wir haben die allgemeine Erwartung, daß sie eintreten, ohne sie doch im einzelnen vorhersagen zu können. Das beunruhigt mich gar nicht, und du solltest dich, denke ich, dadurch auch nicht beunruhigen lassen.«
    Abermals brach ein heftiger Wortwechsel in der Runde aus, aber diesmal war es Osiris gar nicht unrecht. Thot war der Typ des vorsichtigen Asiaten, der jähe Veränderungen oder kühne Behauptungen nicht leiden konnte und mit ziemlicher Sicherheit auch nicht die amerikanische Schroffheit: Ptah hatte sich damit keinen Gefallen getan. Thot und sein chinesisches Konsortium waren ein großer und wichtiger Machtblock in der Bruderschaft; Osiris protegierte sie seit Jahrzehnten. Er nahm sich im stillen vor, Thot später privat zu kontaktieren und eingehend mit ihm über seine Befürchtungen zu sprechen. In der Zwischenzeit würde sich die Ungehaltenheit des chinesischen Magnaten zweifellos an Ptah und seiner westlichen Fraktion festmachen.
    »Bitte, bitte«, sagte er schließlich. »Ich werde mich gern mit jedem von euch, der sich darüber Sorgen macht, individuell unterhalten. Das Problem, wie geringfügig auch immer, geht auf meine persönliche Initiative zurück. Ich übernehme die volle Verantwortung.«
    Das brachte die Runde immerhin zum Schweigen, und hinter den emotionslosen Sims, hinter den Käfermandibeln, den Nilpferd-, Widder- und Krokodilsmasken wurden jetzt, wie er wohl wußte, Berechnungen angestellt und Chancen neu abgewogen. Aber andererseits, das wußte er auch, war sein Prestige groß genug, daß sogar der selbstherrliche Ptah nicht weiter mit ihm streiten konnte, wenn er nicht als Querulant erscheinen wollte.
    Wenn am Ende dieses langen, beschwerlichen Weges nicht der Gral winkte, dachte er, würde ich diesen ganzen gierigen Haufen liebend gern in einem Massengrab verscharren lassen. Es ist ein Jammer, daß ich die Bruderschaft so dringend brauche. In dieser undankbaren Rolle als Vorsitzender kommt man sich vor, als wollte man Piranhas Tischmanieren beibringen. Hinter seiner Leichenmaske lächelte er kurz, obwohl die diversen Zähne und Fänge, die um den Tisch herum blitzten, dem Bild einen gewissen unangenehmen Anstrich von Wahrheit verliehen.
    »So, wenn alles andere erledigt ist und wir das Problem unseres kleinen Ausreißers bis auf weiteres vertagt haben, gibt es nur noch einen Punkt – die Angelegenheit unseres früheren Kollegen Schu.« Er wandte sich Horus mit gespielter Beflissenheit zu. »Es ist dir doch hoffentlich klar, daß Schu nur ein Deckname in bewährter ägyptischer Manier ist. Ein Scherz gewissermaßen, denn Schu war der Luftgott, der den Herrschaftsthron an Re abtrat. Das verstehst du, nicht wahr, General? Wir haben so wenige ehemalige Kollegen, die noch am Leben sind, daß ich mir sicher war, du würdest keine Übersetzung brauchen.«
    Die Falkenaugen funkelten. »Ich weiß, von wem die Rede ist.«
    »Gut. Jedenfalls habe ich unsere letzte Vollversammlung dahingehend verstanden, daß … Schu … seit seinem Ausscheiden zu einer Belastung für die Firma geworden ist.« Er gestattete sich ein trockenes Lachen. »Ich habe gewisse Schritte in die Wege geleitet, die darauf abzielen, diese Belastung so weit wie möglich zu reduzieren.«
    »Werde deutlich.« Sachmets Zunge hing lang aus der gelbbraunen Schnauze. »Der, den du Schu nennst, soll getötet werden?«
    Osiris lehnte sich zurück. »Die Art, wie du den Finger auf unsere heiklen Probleme legst, ist bewundernswert, Madame, aber leider ein wenig schnellfertig. Es muß mehr geschehen als das.«
    »Ich könnte ihm in zwölf Stunden einen Trupp Schwarzmaskierter ins Haus schicken, die den ganzen Komplex wegpusten und niederbrennen und das Gear zur Untersuchung mitnehmen.« Horus legte eine Hand an seinen krummen Schnabel, eine merkwürdige Geste, zu deren Entschlüsselung Osiris mehrere Sekunden brauchte. Im RL hatte sich der General eine Zigarre angezündet.
    »Vielen Dank, aber das ist

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