Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
irgendwann zum Verhängnis werden kann. Sie haben doch damals in den Institutionen mehrere Tests mit dir durchgeführt. In absehbarer Zeit wird sogar die schwerfällige australische Polizei einen Zusammenhang erkennen. Am unerfreulichsten jedoch ist, daß du durch deine kleinen Signaturen auf etwas aufmerksam machst, wie indirekt auch immer, das mir viel wichtiger ist, als du es bist. Ich weiß nicht, was du von meiner Arbeit zu wissen meinst, aber auf jeden Fall hast du dich nicht über den Sangreal lustig zu machen.« Der Gott erhob sich und ließ sich einen Moment lang von etwas Größerem umdüstern, einem schleierigen, blitzgeladenen Schatten. Seine Stimme grollte wie ein Sommergewitter. »Täusche dich nicht in mir. Wenn du mein Projekt gefährdest, werde ich dich rasch und endgültig erledigen. Wenn eine solche Situation eintritt, werden alle Schutzvorkehrungen, die du zu haben meinst, weggeweht werden wie Strohhalme in einem Orkan.«
Er ließ sich wieder auf seinem Thron nieder. »Ansonsten bin ich mit dir zufrieden, und es schmerzt mich, dich rügen zu müssen. Laß es nicht wieder vorkommen. Such dir einen weniger auffälligen Weg, deine Zwänge auszuleben. Wenn du mich zufriedenstellst, wirst du merken, daß es Belohnungen gibt, die du dir nicht einmal vorstellen kannst. Ich übertreibe nicht. Habe ich mich verständlich gemacht?«
Der Schakalkopf ging langsam auf und nieder, als ob sein Träger erschöpft wäre. Der Gott forschte nach einer Spur von Trotz, aber sah nur Furcht und Ergebung.
»Gut«, sagte er. »Deine Audienz ist damit beendet. Ich erwarte deinen nächsten Bericht über das Luftgottprojekt. Kommende Woche?«
Anubis nickte, aber blickte nicht auf. Der Gott kreuzte die Arme, und der Bote des Todes verschwand.
Osiris seufzte. Der alte, alte Mann im Innern war müde. Das Gespräch mit seinem Untergebenen war gar nicht schlecht gelaufen, aber jetzt war es an der Zeit, mit dem Dunklen zu reden, dem Andern – dem einzigen Wesen auf der ganzen Welt, das er fürchtete.
Arbeit, Arbeit, Arbeit, und nicht eine davon mehr erfreulich. Nur der Gral konnte solche Pein wert sein, solches Leiden.
Der Tod fluchte grimmig und machte sich ans Werk.
Kapitel
Freunde hoch oben
NETFEED/NACHRICHTEN:
Sechs Mächte unterzeichnen Antarktika-Pakt
(Bild: Metal1trümmer über eine Eistafel verstreut)
Off-Stimme: Die Trümmer von abgeschossenen Düsenkampfjägern werden als stumme Zeugen des kurzfristigen, aber verheerenden Antarktiskonflikts übrigbleiben. Vertreter der sechs Mächte, deren Streitigkeiten über Schürfrechte den Konflikt ausgelöst hatten, kamen in Zürich zusammen, um einen Vertrag zu unterzeichnen, der Antarktika wieder zu einem internationalen Territorium erklärt …
> Sie traf !Xabbu im Bus an der Haltestelle Pinetown. Er sprang von seinem Sitz auf, als er sie sah, als wäre sie im Gang ohnmächtig geworden und nicht bloß stehengeblieben, um nach dem Treppensteigen Atem zu schöpfen.
»Alles in Ordnung mit dir?«
Sie winkte ab und glitt dann auf den Platz neben ihm. »Mir geht’s gut. Ich bin nur ein bißchen außer Atem. Ich hab mich in letzter Zeit nicht viel bewegt.«
Er runzelte die Stirn. »Ich hätte dich auch abgeholt.«
»Ich weiß. Genau das wollte ich verhindern. Seit ich … seit meiner Krankheit hast du dir dreimal den ganzen weiten Weg bis zu meinem Wohnblock gemacht. Ich mußte nichts weiter tun, als in den Bus steigen, um herzukommen. Zehn Minuten.« !Xabbu hingegen saß wahrscheinlich schon seit fast einer Stunde im Bus; die aus Chesterville kommende Linie war nicht besonders schnell.
»Ich mache mir Sorgen um dich. Dein Zustand war sehr ernst.« Sein besorgter Blick war beinahe streng, als ob sie ein Kind wäre, das an einem gefährlichen Platz spielte. Sie lachte.
»Ich hab dir doch gesagt, daß es kein richtiger Herzanfall war, nur eine vorübergehende Herzrhythmusstörung. Ich hab mich davon erholt.«
Renie wollte nicht, daß sich jemand um sie sorgte, nicht einmal !Xabbu . Dann fühlte sie sich schwach, und mit Schwäche konnte sie nicht umgehen. Sie hatte zudem ein schlechtes Gewissen wegen der Verantwortungslast, die sie ihrem kleinen Freund aufgebürdet hatte. Er hatte alle seine Scheine beisammen und verlor somit keine Studienzeit, aber sein bißchen Geld mußte langsam zur Neige gehen, während sie seine Energien in unvertretbar hohem Maße in Anspruch nahm. Nur die Tatsache, daß auch seine Sicherheit jetzt bedroht zu sein schien, hatte sie
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