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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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gedacht, daß es einmal so kommen würde: eines schönen Abends um halb acht, die Straße voll plappernder Voyeure und traumatisierter Verletzter. Konnte es wirklich so plötzlich geschehen?
    Sie blieb wie angewurzelt stehen und starrte auf die schwarze Fensterzeile. Konnte das ihr gegolten haben? Hatte etwas, was sie getan hatte, einen Vergeltungsschlag von den Leuten von Mister J’s veranlaßt?
    Renie schwindelte bei dem Gedanken. Das war doch Paranoia. Ein alter Heizkörper, ein loses Kabel, ein defekter Herd – es gab jede Menge denkbarer Ursachen, und alle waren viel wahrscheinlicher, als daß die Besitzer eines VR-Clubs sich derart mörderisch rächten.
    Ein Raunen aufgeregten Entsetzens lief durch die Menge. Die Feuerwehrleute trugen Bahren zur Haustür hinaus. Renie hatte furchtbare Angst, aber sie konnte nicht einfach auf eine Meldung warten. Sie versuchte, sich durch das Knäuel der Schaulustigen zu zwängen, aber es gab kein Durchkommen. Mit dem Einsatz des ganzen Körpers und zur Not auch der Ellbogen bahnte sie sich den Weg nach draußen an den Rand der Menge, in der Absicht, außen herumzugehen und auf der anderen Seite des Kordons in die Nähe der Haustür zu kommen.
    Er saß neben einem leeren Mannschaftswagen auf dem Bordstein, den Kopf in den Händen.
    »Papa? Papa!«
    Sie fiel auf die Knie und warf die Arme um ihn. Er blickte langsam auf, als wüßte er nicht so recht, wie ihm geschah. Er roch penetrant nach Bier, aber im Augenblick kümmerte sie das nicht.
    »Renie? Mädel, bist du das?« Er starrte sie aus geröteten Augen so scharf an, daß sie schon dachte, er würde sie schlagen. Statt dessen brach er in Tränen aus, schlang die Arme um ihre Schultern, drückte das Gesicht an ihren Hals und preßte sie so fest an sich, daß sie fast keine Luft mehr bekam. »Oh, Mädel, ich mach mir so Vorwürfe. Ich hätt’s nich tun sollen. Ich dachte, du wärst da drin. Ach Gott, Renie, ich mach mir so Vorwürfe, ich schäm mich so.«
    »Papa, was redest du? Was hast du denn getan?«
    »Du wolltst doch den Tag über weg. Deine alte Professorin besuchen.« Er schüttelte den Kopf, aber sah ihr nicht in die Augen. »Dann kommt Walter vorbei und sagt: ›Komm, wir gehn einen heben.‹ Aber ich hab zu viel getrunken. Komm ich wieder, is hier alles verbrannt, und da denk ich, du wärst wieder zurück und mit verbrannt.« Er rang mühsam nach Luft. »Ich schäm mich so.«
    »Oh, Papa. Mir ist nichts passiert. Ich bin eben erst wiedergekommen. Ich hatte Angst um dich.«
    Er holte tief und zitternd Atem. »Wie ich das Feuer seh, und wie alles brennt, hilf mir der Himmel, Mädel, da mußte ich an deine arme Mutter denken. Ich dachte, jetzt hätt ich dich auch noch verloren.«
    Jetzt weinte Renie auch. Es dauerte eine Weile, bevor sie ihn loslassen konnte. Sie saßen dicht an dicht auf dem Bordstein und sahen zu, wie die letzten Flammen unter dem Einsatz der Feuerwehr langsam erloschen.
    »Alles«, sagte Long Joseph. »Stephens ganze Spielsachen, der Wandbildschirm, alles. Ich weiß nich, was aus uns werden soll, Mädel.«
    »Im Moment denk ich, wir sollten irgendwo ’ne Tasse Kaffee trinken gehen.« Sie stand auf und hielt ihm die Hand hin. Ihr Vater ergriff sie und zog sich auf seine wackligen Beine hoch.
    »Tasse Kaffee?« Er schaute auf das Loch, das einmal ihr Zuhause gewesen war. Der Wohnblock sah aus wie die Stätte eines heftigen Gefechtes, das keine Seite gewonnen hatte. »Ja doch«, sagte er. »Warum nich?«

Kapitel
Der tödliche Turm des Senbar-Flay
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Tod eines Kindes als »Nanotech-Mord« bezeichnet
    (Bild: Schulfoto von Desdemona Garza)
    Off-Stimme: Anwälte der Familie des Brandopfers Desdemona Garza bezeichneten die fehlende staatliche Kontrolle von Chemieunternehmen als »offizielle Duldung von Nanotech-Morden«.
    (Bild: Kinder in einem Bekleidungsgeschäft)
    Die sieben Jahre alte Desdemona kam ums Leben, als ihre Jacke Marke Activex™ Feuer fing. Ihre Familie ist der Meinung, daß die fehlerhafte nanotechnische Qualität des Stoffes schuld an dem tödlichen Feuer sei …
     
     
    > Die trüben und spärlichen Laternen im Diebesviertel machten den Eindruck, daß ein paar Leuchtfische im großen Teich der Nacht herumschwammen, in dem der Verbrecherbezirk des alten Madrikhor versunken war. Die Stadtherolde, die sich niemals in das Viertel hinabbegaben, riefen die Stunde aus der sicheren Höhe der Zwischenmauer. Als er ihren Ruf hörte, starrte der Krieger Thargor mürrisch in

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