Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Und seitdem ist der Turm nur zweimal benutzt worden.«
Fredericks schüttelte den Kopf. »Da komm ich nicht mit.«
»Dieser Diller ist tot! Oder im Knast, oder sonstwas. Jedenfalls ist er seit sechs Monaten nicht mehr der Betreiber. Aber aus irgendeinem Grund ist der Turm doch nicht gedrezzt worden. Und was noch wichtiger ist, jemand hat ihn benutzt – und hat sogar Dillers Sim benutzt! Dazu benutzt, mich zu engagieren!«
»Wow, das blafft! Bist du sicher?«
»Nicht im geringsten. Aber Beezle prüft die Sache nach. Hast du schon was, Beezle?«
Der Agent hüpfte aus einem Spalt in der Wand neben dem Aussichtsfenster. »Den Dillerkram hab ich. Mit dem Wachgreif bin ich noch zugange.«
»Gib mir, was du bis jetzt hast. Erzähl’s einfach.«
»Diller, Seth Emmanuel – willst du Daten und alles haben?«
»In Kurzfassung. Ich sag stop, wenn ich mehr Daten will.«
»Er ist ein Komafall – Abschaltanweisung zeitgleich mit der Einsetzung eines Nachlaßverwalters. Letzten Geburtstag dreizehn geworden. Eltern tot, Großmutter hat Rechtshilfe beantragt – sie hat Mittland verklagt, dazu die Hardwarehersteller, das heißt vor allem Krittapong Electronics und Tochtergesellschaften.«
Orlando dachte nach. »Demnach hatte er genug Geld für gute Geräte, aber die Großmutter hat nicht genug Geld, um zu prozessieren?«
Beezle fuchtelte mit den Beinen. »Alles, was in der Anklageschrift an Hardware und Gear aufgeführt wird, ist mindestens vier Jahre alt, zum Teil viel älter. Soll ich dir die Finanzen der Großmutter besorgen? Diller, Judith Ruskin.«
»Nee.« Er wandte sich Fredericks zu, der sich vorgebeugt hatte und es langsam glaubte. »Dieser Typ liegt im Koma, ist so gut wie tot. Die Nachlaßverwaltung will, daß sein Online-Zeug abgeschaltet wird – wahrscheinlich um Geld zu sparen. Und seine Großmutter verklagt dazu noch Mittland. Aber es wird nicht abgeschaltet. Und jemand anders benutzt es, mindestens zweimal. Seine Ausstattung war mal ganz nett, aber inzwischen ist sie alt, und seine Großmutter hat kein Geld. Und trotzdem läuft auf dem Gelände ein spitzenmäßiger, sündteurer roter Greif rum, der andere Leute abschrecken soll. Was willst du wetten, daß er erst gekauft wurde, als dieser Diller schon weg vom Fenster war?«
»Ich bin mit dem Greif zugange, Boß«, meldete sich Beezle. »Aber es ist kein Zuckerschlecken.«
»Mach weiter.« Er legte seine Füße auf nichts hoch. »Was denkst du jetzt, Frederico?«
Sein Freund, der eben noch ziemlich erregt gewirkt hatte, wurde auf einmal merkwürdig ruhig, als ob er seinen Sim ganz verlassen hätte. »Ich weiß nicht«, sagte er schließlich. »Die Sache wird langsam unheimlich, Orlando. Richtig scänblaff. Wie kann jemand einen Knoten in Mittland offen halten, wenn die Leute, denen er gehört, ihn geschlossen haben wollen?«
»Ich wette, daß jemand am Zentralprotokoll rumgemurkelt hat. Wir wissen das nur, weil die Schließanweisung im Knoten selbst gespeichert wurde, als die Richterin ihre Entscheidung traf. Aber wenn jemand reingehen und das Zentralprotokoll ändern würde, würde der automatische Drezz nie erfolgen. Du weißt, das System ist viel zu groß, als daß jemand das merken würde, es sei denn, der Fall kommt vor Gericht und die ganze Geschichte wird wieder aufgerollt.«
»Aber davon rede ich ja! Das bedeutet, daß jemand das Zentralprotokoll von Mittland gehäckt hat!«
Orlando gab einen Laut der Verärgerung von sich. »Fredericks! Wir wissen bereits, daß das geht. Überleg doch, was mir da unten in der Gruft passiert ist. Irgendwer hat einfach die ganze Sequenz rausgenommen und dann die Lücke fein säuberlich zugenäht. Wie ein Chirurg.«
»Aber warum?«
»Keine Ahnung.« Orlando drehte sich zu seinem MBC-Fenster um. Er fand die Art, wie die Konstruktionsroboter geduldig den roten Marsboden aufwühlten, so beruhigend, wie Kühe auf einer Weide zu beobachten. Er mußte seine galoppierenden Gedanken zügeln. »Ich weiß einfach, daß ich recht habe.«
Fredericks stand auf, diesmal ein wenig vorsichtiger, und trat in die Mitte des Zimmers. »Mensch, Orlando, das hier… das ist nicht Morpher oder Dieter. Das ist nicht bloß einer, der uns ausstechen will. Diese Leute sind irgendwie … Kriminelle. Aber warum veranstalten sie das alles und gehen diese ganzen Risiken ein – bloß um dir irgendeine Stadt zu zeigen? Das ist doch Schwachsinn!«
»Ziemlich.«
Siebend, grabend, weitersiebend gingen die Konstruktionsrobotor ihrer
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