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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Arbeit nach. Sie bewegten sich direkt vor einem imaginären Fenster und gleichzeitig Millionen Meilen weit entfernt. Orlando versuchte, sich auf die Zeitdifferenz der Übertragung zu besinnen, aber kam nicht darauf. Ohnehin nahm sich das, was sie genau in diesem Moment machten, wahrscheinlich nicht viel anders aus als diese verzögerte Version, die er gerade sah. Und die bewußtlosen Dinger würden weiter und weiter arbeiten, kaputtgehen und aus ihrer eigenen selbstgebauten Fabrik ersetzt werden. In ein paar Jahren sollte das Projekt beendet sein. Dann klebte eine winzige Plastikkuppel auf der Marsoberfläche, eine Behausung, in der ein paar hundert Menschen Zuflucht vor der Rauheit einer fremden Welt finden konnten.
    »Orlando?« Die Stimme seines Freundes holte ihn in die genauso fremde Welt seines virtuellen Hauses zurück. Fredericks’ breitschultriger Sim hatte die Arme verschränkt, als wollte er etwas in seinem mächtigen Brustkasten festhalten. »Gardino, weißt du was? Das macht mir angst.«
     
     
    > Orlando setzte sich auf, die Kissen in den Rücken gestopft, die Decke fest um die dünnen Beine gewickelt wie ein frierender Bettler, und lauschte dem Nichts.
    Er wußte aus Büchern, daß Häuser nicht immer so gewesen waren. Er hatte den Verdacht, daß die meisten Häuser in anderen Teilen der Welt und sogar viele bei ihm in Amerika nicht einmal jetzt so waren. Er wußte, daß in vielen Wohnungen Dielen knarrten und Nachbarn im Stockwerk über einem herumtrampelten und Leute auf der anderen Seite der Wand redeten. Er hatte einmal einen Freund besucht, den er aus der Privatklinik kannte, einen Jungen namens Tim, der mit seinen Eltern in einem Haus an einer Straße wohnte, wo sie durch nichts vom Rest der Stadt getrennt waren. Selbst tagsüber konnte man Autos auf dem eine halbe Meile entfernten Freeway vorbeibrummen hören.
    In Nächten wie dieser, wenn sein Vater kurz einmal aufgehört hatte zu schnarchen, konnte Orlando überhaupt nichts hören. Seine Mutter schlief immer wie eine Tote. Die Gardiners hatten keine Haustiere bis auf ein paar Dutzend exotische Fische, aber Fische waren stille Tiere, und alle Systeme, die das Leben in ihrem Aquarium unterhielten, liefen chemisch und geräuschlos. Die menschlichen Bewohner des Hauses wurden nicht minder diskret versorgt. Apparate in den Wänden des Hauses regelten die Temperatur, überwachten die Luftqualität, testeten zwischendurch die Schaltungen des Beleuchtungs- und des Alarmsystems, aber alles lautlos. Draußen hätte eine Armee vor den dicken Wänden und isolierten Fenstern ihres Hauses vorbeistampfen können, ohne daß Orlando etwas davon mitgekriegt hätte, solange niemand vor einen Sensorstrahl trat.
    Es sprach einiges für die Sicherheit und Ungestörtheit, die man sich mit Geld kaufen konnte. Orlandos Eltern konnten einkaufen gehen, das Theater besuchen, den Hund ausführen – wenn sie einen besessen hätten –, und das alles, ohne das riesige Sicherheitsgelände namens Crown Heights zu verlassen. Seine Mutter behauptete, sie wären nur Orlandos wegen hergezogen. Ein Kind wie er sollte nicht den Gefahren des Stadtlebens ausgesetzt sein, hätten sie beschlossen, aber genauso wenig sollte er irgendwo auf dem Lande aufwachsen, eine lange Autofahrt oder einen immer noch zu langen Helikopterflug von allen modernen Einrichtungen entfernt. Doch da die meisten Freunde seiner Eltern ebenfalls entweder in Crown Heights oder in ähnlichen abgeschirmten Innenstadtbezirken wohnten (»exclusive communities« hießen sie in den Anzeigen) und nicht die Entschuldigung seiner Eltern dafür hatten, fragte er sich, ob sie ihm die Wahrheit sagte. Manchmal fragte er sich, ob sie die Wahrheit selber wußte.
    Das Haus war still. Orlando war einsam und ein wenig unruhig.
    Seine Finger fanden das Verbindungskabel neben seinem Bett. Einen Augenblick dachte er daran, ins Netz zu gehen, aber er wußte, was passieren würde, wenn seine Mutter zum Pinkeln oder sonstwas aufstand, während er ringsherum nichts wahrnahm, und dabei entdeckte, daß er eingestöpselt war. Sie war derzeit gewissermaßen auf einem Antinetzfeldzug, obwohl sie sich nie dazu geäußert hatte, womit er sich ihrer Meinung nach sonst beschäftigen sollte. Wenn sie ihn erwischte, konnte es sein, daß er auf Wochen hinaus das »Privileg« verlor, wie sie sich ausdrückte. Dieses Risiko wollte er im Moment nicht eingehen. Nicht gerade jetzt, wo so viel passierte.
    »Beezle?« Keine Antwort. Anscheinend hatte

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