Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
er zu leise gesprochen. Er kroch ans Fußende des Bettes und beugte sich hinaus. »Beezle?« Sprachaktivierung war die Pest, wenn man befürchten mußte, seine Eltern aufzuwecken.
Ein ganz leises Summen kam aus der Dunkelheit. Ein kleines, schwaches Licht wurde heller, dann gingen noch sieben winzige rote Lichter hintereinander im Kreis an, bis er einen kleinen Ring im Schatten neben seiner Schranktür glimmen sah.
»Ja, Boß?«
»Leiser. So wie ich.«
Beezle paßte seine Lautstärke an. »Ja, Boß?«
»Gibt’s was zu berichten?«
»Ein bißchen. Zum Teil merkwürdige Sachen. Ich wollte bis morgen früh damit warten.«
Das Gespräch machte Orlando immer noch nervös. Seine Mutter hatte in letzter Zeit die fixe Idee, er schlafe zu wenig, und manchmal hatte die Frau ein so scharfes Gehör wie eine Fledermaus, selbst im Schlaf. Er war sicher, daß das eines von diesen Mutterdingern war, eine latente genetische Abnormität, die erst zutage trat, wenn eine Frau geboren hatte, und anhielt, bis sie ihre Kinder aus dem Haus hatte.
Er überlegte kurz, ob er das Ganze still onscreen machen sollte, aber wenn seine Mutter aufwachte und ihn reden hörte, konnte er wenigstens so tun, als wäre es im Schlaf gewesen. Wenn sie ihn mit einem leuchtenden Bildschirm ertappte, war der schwerer wegzuerklären.
Außerdem war er einsam, und mit jemand zu reden, war immer noch die beste Medizin dagegen. »Bug. Komm rüber, damit wir nicht so laut reden müssen.«
Ein paar fast unhörbare Klicks ließen erkennen, daß Beezle seinen Roboterkörper von der Steckdose abnabelte, wo er still Nahrung gesaugt hatte wie ein Floh auf dem Rücken eines Hundes. Der Ring aus roten Lichtern glitt die Wand hinab und dann ungefähr auf Schuhspitzenhöhe über den Teppich. Orlando packte sich wieder auf seine Kissen und unter die Decken, um das angenehm kitzelnde Gefühl zu genießen, das entstand, wenn Beezle über die Bettdecke trippelte. Er genoß es vor allem deshalb, weil er sich durchaus noch an das leichte Gruseln erinnern konnte, das er als kleiner Junge dabei verspürt hatte.
Beezle näherte sich dem Kissen und summte und klickte dabei leise vor sich hin wie eine in Baumwolle verpackte Grille. Als er auf Orlandos Schulter krabbelte, verstärkte er die Bodenhaftung, so daß seine Saugfüßchen einen ordentlichen Halt hatten. Orlando fragte sich, ob Beezles, oder Dinger wie Beezle, wohl eines Tages imstande wären, sich so frei im RL zu bewegen wie in der virtuellen Welt. Er hatte schon Meldungen über Agenten mit Roboterkörpern gesehen, die wegen schlechter Programmierung oder überalterter Software verwildert und ihren Besitzern entflohen waren, um wie Asseln in den Infrastrukturen von Häusern zu leben. Was solche Dinger wohl vom Leben hatten? Liefen sie absichtlich weg, oder verloren sie einfach die Fähigkeit, sich weiter an ihre ursprüngliche Programmierung zu halten, und verirrten sich in die Freiheit? Behielten sie Reste ihrer einstigen künstlichen Persönlichkeit?
Beezle hatte sich mit seinem Lautsprecher an Orlandos Ohr gesetzt und sprach jetzt so leise, daß er kaum zu hören war. »Besser?«
»Prima. Erzähl mir, was du hast.«
»Was als erstes?«
»Der Greif.«
»Also, zunächst mal wissen wir nicht mit Bestimmtheit, wann er gekauft wurde, aber alles andere paßt zu deiner Theorie. Er wurde erst nach der Schließanweisung in den Knoten eingespeist.«
»Also war Diller nicht der Käufer.«
»Na ja, laut der Krankenhaus-Datenbank liegt er immer noch im Koma, das heißt, selbst wenn er der Käufer war, hat er ihn auf jeden Fall nicht installiert.«
»Wo stammt er her?«
Beezle stellte sich auf Orlandos leicht veränderte Lage ein, um weiter mit seinem Brooklyner Taxifahrerakzent ins Ohr seines Herrn schnurren zu können. »Das ist eine der merkwürdigen Sachen. Ganz genau paßt der Greif nirgendwo hin. Er ist eine Sonderanfertigung aus mehreren verschiedenen Codebrocken – ich glaube, er war vorher noch woanders im Einsatz als in Mittland, aber jetzt ist es zu spät, nochmal reinzugehen und die Möglichkeiten durchzuchecken. Vielleicht kannst du nochmal reingehen, Boß.«
»Ich glaube kaum. Das heißt, du kannst weder rausfinden, wer ihn gekauft noch wer ihn gemacht hat?«
»Die Herstellerkette ist ein totales Kuddelmuddel. Es gibt überhaupt keine durchgehende Linie – Firmen sind eingegangen, Markenzeichen für manche Teile sind auf anscheinend erfundene Namen eingetragen –, jedenfalls nicht in den ganzen
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