Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
mürrisch, er sei nicht auf seinem Zimmer.
    »Er sagt, er schläft manchmal draußen«, hakte Renie nach. »Könnte er im Garten sein?«
    »Der kleine Mann ist hier nirgends, wie schon gesagt, weder drinnen noch draußen. Und ich habe den Eindruck, daß er die Nacht überhaupt nicht da war.« Grußlos beendete sie das Gespräch.
    Mit wachsender Angst sah sie in der Post nach, ob vielleicht eine Nachricht von !Xabbu da war. Das war nicht der Fall, aber zu ihrer Überraschung fand sie eine Voicemail von Doktor Van Bleeck vor.
    »Hallo, Irene, tut mir leid, daß es mit der Rückmeldung so lange gedauert hat.« Susans Stimme klang gesund und munter, und einen Moment lang war Renie völlig perplex. »Ich werde heute abend nochmal versuchen, dich direkt zu erreichen, aber ich stecke gerade mitten in etwas drin und habe nicht viel Zeit zum Reden, deshalb wollte ich nur mal kurz Bescheid geben.«
    Die Nachricht war vor dem Angriff aufgezeichnet worden. Sie stammte aus einer anderen Welt, einem anderen Leben.
    »Ich habe noch nichts Definitives gefunden, aber ich habe ein paar Verbindungen, die sich als fruchtbar erweisen könnten. Ich muß wirklich sagen, meine Liebe, daß diese ganze Geschichte äußerst merkwürdig ist. Ich kann nirgendwo ein richtiges Gegenstück zu deinem Bild finden, und dabei habe ich jedes einzelne Großstadtgebiet auf dem Erdball unter die Lupe genommen. Ich weiß Sachen über Reykjavik, die selbst die Reykjavikinger, oder wie sie sich nennen, nicht wissen. Und obwohl ich weiß, daß du da anderer Meinung bist, habe ich auch in Bilderbanken danach suchen lassen, nur für den Fall, daß es ein Zusammenschnitt für eine Simwelt oder einen Netzfilm war. Auch das war ergebnislos.
    Dafür hatte ich bei statistischen Ähnlichkeitssuchen einen gewissen Erfolg – nichts Eindeutiges, nur ein paar höchst interessante Trefferhäufungen. Martine müßte bald zurückrufen, und vielleicht hat auch sie noch ein paar Ideen. Jedenfalls werde ich nichts weiter sagen, bis ich Antworten auf einige der Anfragen habe, die ich losgeschickt habe – in meinem Alter macht man sich nicht mehr so gern zum Narren –, aber soviel kann ich sagen, daß ich ein paar alte Bekanntschaften auffrischen werde. Sehr alte Bekanntschaften.
    So, meine Liebe, das wär’s fürs erste. Ich wollte dich einfach wissen lassen, daß ich mich darum kümmere und es nicht vergessen habe. Und ich hoffe, du bist deinerseits nicht so sehr im Bann dieser Sache, daß du zu essen und zu schlafen vergißt. Du hattest früher die schlechte Angewohnheit, anfängliche Faulheit mit Übereifer auf den letzten Drücker wettzumachen. Keine gute Methode, Irene.
    Mach’s gut. Ich spreche später persönlich mit dir.«
    Die Leitung klickte. Renie starrte auf ihr Pad und wünschte, sie könnte noch mehr herausholen, wollte glauben, wenn sie bloß den richtigen Knopf drückte, würde ihre Professorin wieder an den Apparat kommen und ihr alles erzählen, womit sie hinterm Berg gehalten hatte. Susan hatte wirklich später persönlich mit ihr gesprochen, und dadurch wurde die Ironie der Sache noch grausamer.
    Alte Bekanntschaften. Was konnte das heißen? Sie hatte bereits die Namen sämtlicher Kollegen der Professorin durchprobiert, an die sie sich erinnern konnte.
    Renie ließ den Computer verschiedene Hochschulverbandsdokumente durchsuchen, um die Buchstaben von Susans Mitteilung mit den Namen sämtlicher Personen an sämtlichen Institutionen zu vergleichen, bei denen sie beschäftigt gewesen war. Ihre Augen waren vom Stieren auf den Padbildschirm schon ganz trübe, aber sie konnte sonst nichts tun, bis es Zeit war, zur Arbeit zu gehen. Es war überhaupt nicht daran zu denken, daß sie in ihrer momentanen Verfassung auch nur einen Fingerhut voll Schlaf fand. Außerdem half ihr die Beschäftigung, sich weniger Sorgen um !Xabbu zu machen.
    Sie war bei ihrer siebten oder achten Zigarette seit Tagesanbruch angelangt und beobachtete gerade, wie sich eine Kaffeetablette in ihrer Tasse auflöste, als plötzlich jemand sachte vorn an die Trennwand klopfte, dicht am Vorhang, der als vierte Wand diente. Erschrocken hielt sie den Atem an. Sie schaute sich nach etwas um, das sich als Waffe benutzen ließ, aber die Taschenlampe war irgendwohin verschwunden. Sie beschloß, daß die Tasse mit kochend heißem Wasser in ihrer Hand es tun mußte. Als sie sich leise zum Vorhang schlich, hustete ihr Vater im Schlaf und wälzte sich herum.
    Sie riß den schweren Stoff zurück. Leicht

Weitere Kostenlose Bücher