Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
verdattert blickte !Xabbu zu ihr hoch.
»Habe ich dich auf…?« begann er, aber brachte seinen Satz nicht zu Ende. Renie umarmte ihn derart stürmisch, daß sie sich Kaffee über die Hand schüttete. Sie fluchte und ließ die Tasse fallen, die auf dem Betonboden zersplitterte.
»Verdammt! Au! ’tschuldigung!« Sie wedelte mit ihrer verbrannten Hand.
!Xabbu trat vor. »Ist dir etwas passiert?«
»Hab mich bloß verbrannt.« Sie lutschte an ihren Fingern.
»Nein, ich meine …« Er trat ein und zog den Vorhang zu. »Ich … ich hatte einen beängstigenden Traum. Ich hatte Angst um dich. Deshalb kam ich hierher.«
Sie betrachtete ihn genauer. Er sah wirklich ziemlich verstört aus, zumal seine Sachen zerknittert und offensichtlich in Eile angezogen worden waren. »Du … aber warum hast du nicht angerufen?«
Er blickte auf seine Füße nieder. »Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich gar nicht daran dachte. Ich wachte auf und hatte Angst, und so machte ich mich auf den Weg.« Er hockte sich an die Wand, eine einfache, geschmeidige Bewegung. Etwas an der Art, wie er das machte, erinnerte Renie daran, daß er nicht restlos zu ihrer Welt gehörte, etwas, das trotz seiner modernen Kleidung archaisch geblieben war. »Ich konnte keinen Bus bekommen, also ging ich zu Fuß.«
»Von Chesterville? Mensch, !Xabbu , du mußt ja völlig fertig sein! Mir geht’s gut, gesundheitlich wenigstens, aber es ist etwas Schreckliches passiert.«
Sie berichtete ihm rasch von Doktor Van Bleeck und schilderte ihm, was sie von dem Angriff und den Ereignissen hinterher wußte. Statt sich vor Überraschung über diese Neuigkeiten zu weiten, verengten sich !Xabbus schwerlidrige Augen, als ob er gezwungen wäre, etwas Qualvolles zu betrachten.
»Das ist sehr traurig.« Er schüttelte den Kopf. »Aii! Mir träumte, daß sie einen Pfeil auf dich abschoß und daß er dein Herz durchbohrte. Es war ein sehr starker Traum, sehr stark.« Er legte sacht seine Hände zusammen und drückte dann fest zu. »Ich hatte die Befürchtung, er bedeutete, daß du durch etwas, was ihr beide getan hättet, zu Schaden gekommen wärest.«
»Sie hat mir allerdings etwas zugeschossen, aber ich hoffe, daß es Menschen retten wird, nicht töten.« Sie schürzte die Lippen. »Oder wenigstens hoffe ich, daß es uns helfen wird rauszufinden, ob ich verrückt werde oder nicht.«
Hastig, aber leise, um ihren Vater nicht eher als nötig auf den Plan zu rufen, erklärte sie ihm, was Susan Van Bleeck ihr mitgeteilt und was sie die Nacht über getrieben hatte. Als sie fertig war, blieb der kleine Mann mit gesenktem Kopf auf dem Boden sitzen.
»Es sind Krokodile im Fluß«, sagte er schließlich. In ihrem Erschöpfungszustand brauchte sie eine Weile, um zu begreifen, was er sagte. »Wir haben uns, solange wir konnten, eingeredet, es wären nur Felsen, die aus dem Wasser ragten, oder treibende Baumstämme. Aber wir können sie nicht mehr ignorieren.«
Renie seufzte. Vorhin, als sie gesehen hatte, daß !Xabbu wohlauf war, war sie vor Erleichterung direkt ein wenig munter geworden. Jetzt hatte sie auf einmal das Gefühl, doch schlafen zu können – einen Monat lang, wenn man sie ließ. »Es kommt zu viel zusammen«, pflichtete sie ihm bei. »Stephens Bewußtlosigkeit, die Anfälle von Stephens Freund, unsere Erlebnisse in dem Club da. Jetzt hat man unsern Wohnblock angezündet und hat Susan überfallen und schwer verletzt. Wir wären Idioten, wenn wir nicht glauben wollten, daß da etwas sehr faul ist. Aber«, sie fühlte, wie ihre Wut in Bitterkeit und Jammer umschlug, »wir können nichts beweisen. Gar nichts! Wir müßten die Polizisten bestechen, bloß damit sie nicht laut lachen, wenn wir ihnen die Geschichte erzählen.«
»Es sei denn, wir finden diese Stadt und erfahren dadurch irgend etwas. Oder wir gehen noch einmal hin.« Sein Gesicht war seltsam ausdruckslos. »An diesen Ort.«
»Ich glaube nicht, daß ich noch jemals dorthin zurückkehren könnte«, sagte sie. Sie blinzelte, denn der Schlaf drohte sie zu übermannen. »Doch, ich könnte es – für Stephen. Aber ich weiß nicht, was es uns nützen würde. Diesmal wären sie auf uns vorbereitet. Höchstens, wenn wir einen besseren, heimlicheren Weg finden könnten reinzuhäcken -« Sie verstummte und überlegte.
»Hast du eine Idee?« fragte !Xabbu . »So ein Ort hat doch sicher sehr gute … wie sagt man? Sicherheitsvorkehrungen.«
»Ja, natürlich. Nein. Daran dachte ich gar nicht. Mir ist nur
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