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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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du wärst von woanders hergekommen.«
    »Wir sind nicht den Weg gekommen, Meister. Ich kenn nicht mehr, als was jeder andere kennt. Das zum Beispiel.« Er streckte den Finger aus. Paul kniff die Augen zusammen, aber konnte nichts Ungewöhnlicheres erblicken als das endlose Zweiggeflecht des Waldes. »Nein«, sagte der Junge zu ihm, »Ihr müßt runterkommen, tiefer.«
    Kniend konnte Paul zwischen den Stämmen einen einzelnen Berggipfel erkennen, der so weit entfernt war, daß er wie mit dünnerer Farbe als die übrige Landschaft gemalt wirkte. »Was ist das?«
    »Ein Berg, Ihr Kreteng.« Gally lachte, zum erstenmal an diesem Tag. »Aber am Fuß davon, heißt es, schläft der rote König. Und wenn ihn jemals wer aufweckt, wird der ganze Achtfeldplan einfach verduften.« Er schnalzte mit den Fingern. »Puff! Einfach so! Jedenfalls geht so die Geschichte. Ich kapier nicht, woher jemand das wissen will, es sei denn, er hätt ihn tatsächlich aufgeweckt, und damit hätt er wohl eher das Gegenteil bewiesen.«
    Paul faßte den Berg scharf ins Auge. Abgesehen von seiner Schlankheit und Höhe schien es ein ganz normaler Berg zu sein. »Was ist mit dem weißen König? Was ist, wenn ihn jemand aufweckt? Dasselbe?«
    Gally zuckte mit den Achseln. »Nehm’s an. Aber keiner weiß, wo er schläft, außer Ihrer Weißen Majestät, seiner Dame, und die verrät’s nicht.«
    Die Sonne hatte ihren Scheitelpunkt am Himmel schon überschritten, als sie schließlich wieder im Tiefland anlangten, einem lieblichen Meer aus Wiesen und niedrigen Buckeln mit breiten Waldstreifen dazwischen. Paul war schon wieder müde und wurde sich mit einem Mal bewußt, daß er seit über einem Tag nichts mehr gegessen hatte. Er fühlte den Mangel an Nahrung, wenn auch bei weitem nicht so stark, wie er ihn seiner Meinung nach hätte fühlen müssen, und er wollte Gally gerade darauf ansprechen, als der Junge ihn plötzlich am Arm packte.
    »Da! Auf dem Hügel hinter uns.«
    Paul hatte sich schon geduckt, bevor er den Jungen überhaupt richtig verstanden hatte – eine Reflexreaktion gegen Gefahr von oben, eine alte Geschichte, die noch in seinen Körper eingeschrieben war. Er spähte in die Richtung, in die Gallys Finger zeigte.
    Eine Gestalt war auf der Hügelkuppe erschienen. Kurz darauf stieß eine zweite zu ihr, und Paul fühlte, wie ihm das Herz in der Brust eiskalt wurde. Doch dann tauchte noch ein halbes Dutzend anderer Gestalten neben den ersten beiden auf, eine davon anscheinend beritten.
    »Es sind die Rotröcke«, sagte Gally. »Ich wußte gar nicht, daß sie auch das Feld genommen hatten. Meint Ihr, sie suchen uns?«
    Paul schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht.« Vor diesen Verfolgern fürchtete er sich nicht so sehr wie vor den beiden, die vor dem Austernhaus gestanden hatte, aber er traute keinen Soldaten, ganz gleich, welcher Seite. »Wie weit ist es bis zum Rand des Feldes?«
    »Ein gutes Stück. Vor Sonnenuntergang werden wir da sein.«
    »Dann los.«
    Der Weg war beschwerlich. Das dichte Gestrüpp riß mit krallenartigen Zweigen an ihren Sachen. Paul dachte nicht mehr an Essen, obwohl er sich immer noch schwach fühlte. Gally nahm nicht den geraden Weg, sondern suchte die dichtesten Waldstücke zu meiden, um schneller vorzuankommen, aber auch die Stellen im Gelände, wo man sie vom Hang aus am besten hätte erspähen können. Paul wußte, daß der Junge das besser machte, als er es gekonnt hätte, aber trotzdem schienen sie sich qualvoll langsam fortzubewegen.
    Sie waren gerade aus dem Schutz eines Wäldchens gesprungen und rannten über einen offenen Hang, als sie aus dem Unterholz Getrappel hörten. Gleich darauf sprengte ein Reiter hervor, galoppierte über die freie Fläche vor ihnen und riß dann scharf sein Pferd herum, so daß es sich aufbäumte. Paul zerrte Gally unter den ausschlagenden Hufen weg.
    Der Reiter trug eine tief blutrote Rüstung. Ein Helm derselben Farbe, genau wie ein fauchender Löwenkopf geformt, verbarg sein Gesicht. Er stieß mit seiner langen Lanze auf den Boden. »Ihr überquert Territorium, das für Ihre Scharlachrote Majestät in Besitz genommen wurde«, erklärte er in dünkelhaftem Ton, der durch den Helm noch lauter und hohler klang. »Ihr werdet euch mir ergeben.«
    Gally suchte sich Pauls Griff zu entwinden. Er war klein und schmutzig, und es war schwer, ihn festzuhalten. »Wir sind Freie! Mit welchem Recht wollt Ihr uns hindern hinzugehen, wo’s uns beliebt?«
    »Freiheit gibt es nur für die Vasallen

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