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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Ihrer Majestät«, donnerte der Ritter. Er senkte seine Lanze, so daß die scharfe Spitze auf der Höhe von Pauls Brust vibrierte. »Wenn ihr nichts verbrochen habt und euch in ehrenhafter Lehnstreue an sie bindet, werdet ihr nichts zu fürchten haben.« Er trieb sein Pferd ein paar Schritte vorwärts, bis die zitternde Lanze sie beinahe berührte.
    »Ich bin fremd hier.« Paul rang immer noch mühsam nach Atem. »Ich bin auf der Durchreise. Eure internen Streitigkeiten gehen mich nichts an.«
    »Der Bengel da ist auch fremd«, entgegnete der Ritter durch das fauchende Löwenmaul. »Und er und seine Hungerleider haben nichts als Scherereien gemacht, seit sie hier aufgetaucht sind – gestohlen, gelogen, unsinnige Geschichten verbreitet. Ihre Majestät wird das nicht länger dulden.«
    »Das ist gelogen!« Gally war den Tränen nahe. »Alles erstunken und erlogen!«
    »Knie nieder, oder es wird dir ergehen wie einem deiner Kapaune, Küchenbengel.«
    Paul zog Gally zurück; der Ritter setzte an, seinem Pferd die Sporen zu geben. Es gab keine Fluchtmöglichkeit – selbst wenn sie die Bäume hinter sich erreichen konnten, war es nur eine Frage der Zeit, bis er sie über den Haufen ritt. Widerstandslos sank Paul langsam auf ein Knie.
    »Was denn, was denn? Wer treibt sich da rum?« Ein anderer Ritter kam jetzt aus der Richtung des Flusses im leichten Galopp auf die Lichtung geritten. Er war ganz in leuchtendes Weiß gekleidet und sein Helm wie ein Pferdekopf mit einem einzelnen Horn auf der Stirn geformt – Paul hatte das Gefühl, sich eigentlich an den Namen des Tieres erinnern zu müssen, aber kam nicht darauf. Ein buntes Arsenal von Waffen, Pulverhörnern und anderen Gegenständen baumelte am Sattel des Ritters, so daß sein Pferd bei jedem Schritt klapperte wie der Wagen eines Kesselflickers. »Bassa Manelka!« schrie er. »Oder war es ›Bassa Teremtetem‹?«
    Der rote Ritter konnte eine leise Verwunderung in der Stimme nicht verbergen. »Was macht Ihr denn hier?«
    Die Gestalt in der weißen Rüstung stockte, als ob die Frage schwer zu beantworten wäre. »Hab wohl ’nen ziemlich heiklen Haken geschlagen, scheint’s. Etwas unerwartet. Tja, wir werden uns leider ’nen Kampf liefern müssen.«
    »Dies sind Gefangene der Königin«, erklärte Löwenhelm, »und ich kann nicht mit Euch meine Zeit vergeuden. Ihr dürft Euch ausnahmsweise zurückziehen, aber wenn ich Euch noch einmal sehe, sobald ich mit denen hier«, er fuchtelte mit der Lanze in Pauls und Gallys Richtung, »fertig bin, werde ich Euch töten müssen.«
    »Zurückziehen? Tja, das geht leider nicht – nein, nicht zu machen. Sie ist ja nicht meine Königin, wißt Ihr.« Der weiße Ritter hielt inne, als versuchte er, sich an etwas Wichtiges zu erinnern. Er nahm seinen Helm ab, unter dem ein feuchter Kranz heller Haare zum Vorschein kam, und kratzte sich heftig an der Kopfhaut.
    Paul starrte ihn erstaunt an. »Hans? Hans Wäldler?«
    Der Ritter drehte sich mit offensichtlicher Verblüffung zu ihm um. »Hans? Ich bin kein Hans. Also wirklich«, er wandte sich dem roten Ritter zu, »schöne Gefangene, die Ihr da habt. Kenn ich aus eigener Erfahrung. Kein Respekt, keine Manieren.«
    »Das isser nich«, sagte Gally laut flüsternd.
    Paul schüttelte den Kopf. Das Ganze wurde zusehends zur Farce. »Aber – aber wir sind uns schon mal begegnet! Neulich abends, im Wald. Erinnert Ihr Euch nicht mehr?«
    Der Mann in der weißen Rüstung musterte Paul. »Im Wald? Jemand, der aussah wie ich?« Er wandte sich wieder dem roten Ritter zu. »Ich glaube, der Bursche ist meinem Bruder begegnet. Sowas. Er ist seit einiger Zeit unauffindbar. War schon immer ein Rumtreiber.« Er drehte sich wieder zurück. »War er wohlauf?«
    Löwenhelm hatte weder Interesse noch Humor. »Verzieht Euch endlich, Ihr stupider Weißer, oder es wird Euch schlecht ergehen.« Er zog sein Pferd ein paar tänzelnde Schritte zurück, dann legte er die Lanze ein und richtete sie auf den neu Hinzugekommenen.
    »Nein, nichts zu machen.« Der weiße Ritter wurde unruhig. »Tut mir leid, aber ich muß die Herausgabe dieses Feldes fordern – für Ihre Durchlauchtige und Alabasterne Hoheit und so weiter.« Er setzte seinen Helm wieder auf. »Wir werden kaum um den Kampf rumkommen, denke ich.«
    »Kretin!« schrie der rote Ritter. »Ihr Gefangenen – ihr bleibt, wo ihr seid, bis ich hier fertig bin!«
    Der weiße Ritter hatte inzwischen seine Lanze gesenkt und galoppierte scheppernd und klirrend an.

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