Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
würde.
    Zwei Gestalten waren hinter ihnen auf der Wiese erschienen, beide mit Hut und Mantel bekleidet, die Gesichter verschattet. Sie schritten entschlossen aus, ohne erkennbare Hast. Als der Kleinere in einer scheußlichen Parodie von Überraschung und Freude die Arme ausbreitete, glitzerte etwas im Schatten unter seiner Hutkrempe.
    »Da bist du ja!« Als er die Stimme hörte, hätte Paul am liebsten geschrien und sich ins eigene Fleisch gebissen. »Wir waren schon in Unruhe, weil es so lange dauerte, dich wiederzufinden …«
    Gally jammerte. Paul warf sich nach vorn, um sich loszureißen, aber die Soldaten der Königin hatten ihn fest im Griff.
    »Wir haben uns ganz besondere Sachen für dich aufgehoben, lieber alter Freund.« Die beiden waren jetzt näher herangekommen, aber immer noch unkenntlich, als ob eine tiefere Dunkelheit sie wie eine Wolke umhüllte. »Ganz besondere Sachen …«
    Als Paul gerade die Knie einknickten und er in den starken Armen seiner Häscher zusammensackte, hörte er ein eigenartiges Geräusch. Entweder Gallys Jammern war fast so laut geworden wie vorhin das Pfeifen der Königin oder …
    Das Rumoren nahm zu. Paul riß sich von dem schrecklichen und doch faszinierenden Anblick seiner Verfolger los und schaute auf die Berge. Er fragte sich, ob sich eine Lawine löste – gewiß konnte nur das Reiben von Stein auf Stein so ein tiefes, knirschendes Geräusch machen. Aber es war keine Lawine, nur ein riesiges geflügeltes Ungeheuer, das grollend aus der Höhle im Hang hervorkam. Paul gingen die Augen über. Der Königin klappte der Kiefer herunter.
    »Der Jabberwock!« würgte einer der Soldaten heraus, und es war ein Ausruf des nackten Grauens.
    Sobald das Untier aus seiner engen Höhle heraus war, richtete es sich auf und breitete die Flügel aus, bis die Spitzen so hoch in der Luft waren, daß noch die letzten Strahlen der Sonne auf die geäderte Flughaut fielen. Die schwerlidrigen Augen blinzelten. Der Kopf schlängelte sich auf einem unglaublich langen Hals vor, dann blähten sich mit einem Knall die Flügel auf, als die Kreatur sich in die Lüfte schwang. Gallys Häscher purzelte auf den Rücken, wo er liegen blieb und ein dünnes Kreischen von sich gab.
    Die Bestie stieg gerade empor, bis sie am hellen Himmel über den Bergspitzen stand, eine schwarze Silhouette wie eine vor eine Lampe gespannte Fledermaus, dann kam sie im Sturzflug herab. Die Soldaten, die Paul festhielten, ließen beide gleichzeitig los und suchten das Weite. Die Königin hob die Arme hoch und brüllte das herniederstoßende Ungeheuer an. Paul wurde von der Sturmbö umgeworfen, die entstand, als das Untier seine mächtigen Flügel spreizte und wieder nach oben sauste, eine der schrecklichen vermummten Gestalten strampelnd in seinen vogelartigen Klauen.
    »Gally!« schrie Paul. Überall wirbelten Staubwolken durch die Luft. Irgendwo hinter dem Schmutz und Dunkel und dem Brausen des Windes schrillte das wütende Zetern der roten Königin. »Gally!«
    Er fand den am Boden kauernden Jungen, hob ihn hoch und lief mit ihm auf den Fluß zu. Während sie über das holprige Gelände stolperten, schaute der Junge auf und sah, wo es hinging.
    »Nein! Nicht!«
    Mit dem um sich schlagenden Kind auf dem Arm rannte Paul platschend ins flache Wasser. Als er in die Strömung hinauswatete, hörte er aus dem Tumult hinter ihnen eine Stimme rufen.
    »Du machst es nur noch schlimmer! Wir werden dich überall finden, Paul Jonas!«
    Er ließ den Jungen los und begann, auf das andere Ufer zuzuschwimmen. Gally zappelte hilflos neben ihm, deshalb packte Paul den Jungen am Kragen und strampelte aus Leibeskräften gegen das Wasser und die Schlingpflanzen an. Plötzlich schwang sich etwas mit so mächtigen Flügelschlägen über ihn hinweg, daß der Wind schäumende Wellen auf dem Wasser warf. Eine scharlachrote Figur, die wie ein kochender Teekessel gellte, baumelte in seinen Klauen. Die Wellen rollten gegen Paul an und warfen ihn ein Stück ans Ufer zurück. Langsam verließen ihn die Kräfte, und die andere Seite des Flusses war noch sehr weit entfernt.
    »Schwimm, Junge«, keuchte er und ließ Gally los. Zusammen kämpften sie sich weiter voran, aber die Strömung trieb sie auseinander und riß sie zudem im rechten Winkel zum Ufer mit, das überhaupt nicht näher zu kommen schien.
    Ein krampfender Schmerz schoß durch Pauls Bein. Er schnappte nach Luft und tauchte unter, dann drehte er sich in dem trüben Wasser wie wild im Kreis und

Weitere Kostenlose Bücher