Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Vielleicht sollte ich einfach zuerst bei ihr nachfragen.«
    Im ersten Moment war Renie sprachlos, bis ihr klarwurde, daß diese Frau nicht wußte oder vorgab, nicht zu wissen, was geschehen war. »Susan Van Bleeck ist tot.«
    Das Schweigen hielt lange Sekunden an. »Tot?« fragte sie leise. Wenn sie die Überraschung spielte, diese Martine, dann war sie eine begabte Schauspielerin.
    Renie fischte sich eine neue Zigarette aus dem Päckchen und erklärte, was vorgefallen war, ohne ihre eigene Rolle dabei zu erwähnen. Es war sehr merkwürdig, so im Dunkeln zu sitzen und einer Fremden in Frankreich die Geschichte zu erzählen.
    Einer, die behauptet, sie wäre in Frankreich, korrigierte sich Renie. Und die auch nur behauptet, sie wäre eine Sie. Es war schwer, sich an diese Maskeraden zu gewöhnen, aber im Netz konnte man keinem äußeren Anschein trauen.
    »Was du da sagst, macht mich sehr, sehr traurig«, sagte die Frau. »Aber es erklärt noch nicht, was du von mir erwartest.«
    »Wie gesagt, es ist mir nicht sehr wohl dabei, am Telefon zu reden.« Renie überlegte. Wenn diese Frau wirklich in Europa war, dann mußte sie sich mit Telefongesprächen abfinden. »Vermutlich habe ich keine Wahl. Sagt dir der Name Bolívar Atasco etwas, oder ein Buch, das …?«
    »Halt.« Es gab ein kurzes Summen. »Bevor ich weiter mit dir sprechen kann, muß ich noch ein paar Nachforschungen anstellen.«
    Renie war von dem plötzlichen Umschwung verblüfft. »Was soll das heißen?«
    »Das soll heißen, daß ich es mir ebenfalls nicht leisten kann, zu vertrauensselig zu sein, entendu? Aber wenn du bist, wer und was du zu sein scheinst, werden wir uns wieder sprechen.«
    »Wer und was ich zu sein scheine? Was zum Teufel soll das heißen?«
    Die Anruferin war lautlos aus der Leitung gegangen.
    Renie stellte ihr Pad hin, lehnte sich zurück und ließ ihre müden Augen zufallen. Wer war diese Frau? Gab es eine Chance, daß sie tatsächlich helfen konnte, oder würde es einfach ein bizarrer Zufallskontakt bleiben, ein etwas längeres Gespräch mit einer falschen Verbindung?
    Ein Buch, eine geheimnisvolle Fremde – mehr Informationen, aber keine davon irgendwie konkret.
    Immerzu im Kreis. Die Müdigkeit zerrte an ihr wie ein quengeliges Kind. Nichts weiter als Stückchen und Teilchen, Fragmente. Aber ich muß weitermachen. Niemand sonst wird es tun. Ich muß.
    Sie konnte eine Weile schlafen – sie mußte eine Weile schlafen –, aber sie wußte, daß sie nicht ausgeruht aufwachen würde.

Kapitel
Seth
    NETFEED/RELIGION:
    Zusammenstoß erschüttert die Grundfesten des Islam
    (Bild: Gläubige beim Gebet in Rijad)
    Off-Stimme: Die moslemische Splittersekte, deren Anhänger sich nach ihrem Stifter Abdul Karim Sorusch als »Soruschin« bezeichnen, ist vom Freistaat Rotes Meer verboten worden. Er geht damit als letzter islamischer Staat gegen eine Gruppierung vor, die von vielen traditionellen Moslems als Bedrohung angesehen wird. Ob dieses Verbot die Soruschin davon abhalten wird, als Pilger nach Mekka zu kommen, ist noch nicht geklärt, und viele befürchten, die Entscheidung könnte die islamische Welt spalten.
    (Bild: Gläubige auf der Pilgerfahrt beim Umschreiten der Kaaba)
    Die Regierung des Freistaats gibt an, mit dem Verbot die Soruschin selbst schützen zu wollen, die häufig Opfer von Massenausschreitungen waren.
    (Bild: Archivaufnahmen von Professor Sorusch bei einer Vorlesung)
    Sorusch, ein berühmter islamischer Gelehrter um die letzte Jahrhundertwende, hatte verkündet, Demokratie und Islam seien nicht nur vereinbar, sondern ihre Allianz sei unausweichlich …
     
     
    > Keine Sonne störte das makellose Blau des Himmels, und doch funkelte der Sand und gleißte der große Fluß. Auf eine Geste des Gottes hin glitt die Barke ins tiefere Wasser hinaus und drehte sich gegen die träge Strömung. An den Ufern warfen sich Tausende von Anbetenden demütig aufs Gesicht, eine reißende, ekstatisch heulende Menschenwelle von weitaus größerer Gewalt als die schläfrige Bewegung des Flusses. Andere schwammen der Barke hinterher und riefen Lobpreisungen, bis ihnen der Mund voll Wasser lief und sie glücklich ertranken, weil es bei dem Versuch geschah, das bunt bemalte Schiff ihres Herrn zu berühren.
    Die unaufhörliche und lautstarke Verehrung, die gewöhnlich einen beruhigenden Hintergrund für seine Selbstinszenierung abgab, ging Osiris mit einem Mal auf die Nerven. Sie störte ihn beim Denken, und er hatte diese Beförderungsart eigens

Weitere Kostenlose Bücher