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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aussehen, dachte Renie, als ob sie eine Seance abhielten. »Es tut mir sehr leid«, fuhr er unvermittelt fort.
    »Was?«
    »Ich fürchte, ich habe Doktor Van Bleeck ein schlechtes Gewissen wegen des Bildes an der Wand gemacht. Sie war ein guter Mensch. Sie schätzte das Bild, weil es ihr etwas sagte, glaube ich, obwohl es nicht das Werk ihres eigenen Volkes war.«
    »Sie war so gut…« Jeremiah schniefte grimmig und tupfte sich die Augen mit einer Serviette. Er putzte sich die Nase. »Zu gut. Sie war der letzte Mensch, der so etwas verdient hätte. Man sollte diese Männer finden und sie aufhängen, wie man es früher gemacht hat.«
    »Etwas Wichtiges hat sie uns jedenfalls mitgeteilt«, sagte Renie. »Und vielleicht war dieser Zettel auch für uns bestimmt. Wir werden unser Bestes tun, um rauszufinden, was sie in Erfahrung gebracht hatte. Und wenn uns das zu den Leuten führt, die das getan haben -« Sie hielt inne und dachte an die brutale, unpersönliche Gründlichkeit der Zerstörung im Keller. »Nun, ich werde alles tun, was ich kann, alles, um sie der Gerechtigkeit zu überantworten.«
    »Gerechtigkeit.« Dako sprach das Wort aus, als schmeckte es schlecht. »Wann wäre in diesem Land jemals Gerechtigkeit geschehen?«
    »Einerseits. Andererseits, Jeremiah, war sie reich und weiß. Wenn unsere Polizei je einen Mord aufklären wird, dann ihren.«
    Er schnaubte, ob ungläubig oder zustimmend konnte Renie nicht entscheiden.
    Sie tranken ihren Tee aus, während Jeremiah ihnen alles erzählte, was zur Vorbereitung des Gedenkgottesdienstes für seine Frau Doktor noch zu tun war, und auch, wie weitgehend die Arbeit an ihm hängenblieb. Eine Nichte und ein Neffe kamen von Amerika geflogen, und nach früheren Erfahrungen mit ihnen rechnete Jeremiah damit, ohne Dank abgeschoben zu werden. Seine Bitterkeit war verständlich, aber deprimierend. Renie verzehrte ein paar Kekse, mehr aus Höflichkeit als aus Hunger, dann erhoben sie und !Xabbu sich zum Gehen.
    »Vielen Dank, daß wir uns umschauen durften«, sagte sie. »Ich hätte mich furchtbar gefühlt, wenn wir es nicht wenigstens versucht hätten.«
    Jeremiah zuckte mit den Achseln. »Niemand wird für dieses Verbrechen bestraft werden. Nicht so, wie es bestraft gehört. Und niemand wird sie so sehr vermissen wie ich.«
    Da funkte es in Renies Gedächtnis. »Moment mal. Jeremiah, Susan erwähnte eine Freundin namens Martine, eine Rechercheurin. Ich komme nicht auf den Nachnamen – Deru-irgendwas.«
    Dako schüttelte den Kopf. »Ich kenne den Namen nicht.«
    »Ich weiß, daß die Haussysteme eliminiert wurden, aber könntest du vielleicht noch irgendwo anders nachschauen? Hat sie ein altmodisches Tagebuch geführt, ein Notizbuch, irgendwas auf Papier?«
    Jeremiah setzte abermals an, den Kopf zu schütteln, dann stockte er. »Wir haben ein Rechnungsbuch. Die Frau Doktor befürchtete immer, es könnte Probleme mit der Steuer geben, deshalb führten wir doppelt Buch.« Geschäftig eilte er aus dem Zimmer, und seine Körpersprache verriet, wie dankbar er war, etwas zu tun zu haben.
    Zu müde, um sich zu unterhalten, nippten Renie und !Xabbu kalten Tee. Nach etwa zehn Minuten kam Jeremiah mit einer ledergebundenen Kladde zurück. »Es gab vor drei Jahren eine kleine Zahlung, ausgewiesen als ›Recherche‹, an eine ›Martine Desroubins‹.« Er deutete darauf. »Könnte sie das sein?«
    Renie nickte. »Es hört sich jedenfalls richtig an. Irgendeine Netzadresse oder Nummer?«
    »Nein. Nur der Name und der überwiesene Betrag.«
    »Na schön. Immerhin ein Anfang.«
     
    Renie spielte mit dem gefalteten Zettel herum, auf dem jetzt auch der Name der Rechercheurin stand.
    Fragmente, dachte sie. Nichts als Stückchen und Teilchen – Stimmen im Dunkeln, verwirrende Bilder, halb verstandene Namen. Das ist alles, was wir haben. Sie seufzte, während Jeremiah auf die dunkle Hügelstraße hinausfuhr. Hier und da zeigte ein Leuchten zwischen den Bäumen die Lage einer anderen von Kloofs isolierten Festungen an, und wie immer erschien ihr das Licht als Beweis von Tapferkeit gegenüber der mächtigen und furchterregenden Finsternis.
    Tapferkeit? Oder war es Unwissenheit?
    Fragmente. Sie legte den Kopf an die kühle Scheibe. !Xabbu hatte die Augen geschlossen. Ich vermute, das ist auch alles, was wir je bekommen werden.
     
    Renie setzte sich auf die Bettkante, um sich die Haare zu trocknen, froh über den Augenblick ungestörter Ruhe. Die abendliche Schlange vor der Gemeinschaftsdusche

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