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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und der sicheren Bestrafung zusammengekauert in seinem Zimmer gelegen und darauf gewartet hatte, daß die Schritte seines Vaters die Treppe hinaufgedröhnt kamen.
    Was der Andere war, wie er dachte, was ihm die Fähigkeiten verlieh, die er hatte – dies alles waren Fragen, auf die es vielleicht keine faßbare Antwort gab. Möglicherweise gab es auch ganz einfache Erklärungen, so unkompliziert wie die Biolumineszenz, mit der ein Leuchtkäferweibchen ein Männchen anlockte. Aber sie waren belanglos, und in sein Grauen mischte sich eine perverse Freude. Die Menschheit drang immer weiter vor, und immer entzog sich das Universum ihrem Zugriff. Das Geheimnis nahm kein Ende.
    Die Barke des Herrn über Leben und Tod glitt den großen Fluß hinauf. Der brennende Sand lief zu beiden Seiten ohne Unterbrechung bis zum Horizont. In der ganzen Welt, so schien es, gab es in diesem Augenblick keine andere Bewegung als das Fahren des Schiffes und das langsame Heben und Senken der Federfächer in den Händen der Diener des Gottes. Osiris setzte sich aufrecht hin, kreuzte die bandagierten Arme über der Brust und starrte mit seiner goldenen Mumienmaske in den unendlichen Süden der roten Wüste.
    Seth, die Bestie der Finsternis, wartete.
     
     
    > Aus der Luft sah dieser Abschnitt der Küste von Oregon kaum anders aus als zehntausend Jahre zuvor: die Kiefern und Tannen in schiefer, windgepeitscher Formation auf den Steilufern, die steinigen Strände dem ewigen Werben des rastlosen Pazifik ausgesetzt. Nur die zwischen den Bäumen aufragende Hubschrauberlandefläche, ein hundert Meter breiter, mit Halogenlampen bestückter Kreis aus fibramicverstärktem Beton, ließ ahnen, was unter den Hügeln verborgen lag.
    Der Senkrechtstarter brach leicht aus, als ein starker Windstoß vom Ozean blies, aber der Pilot hatte Landungen auf stampfenden Flugzeugträgerdecks bei schlimmerem Wetter und unter Feindbeschuß hinter sich. Ein paar kleine Korrekturen unter dem Brüllen des Hubstrahltriebwerks, dann setzte das Flugzeug so sanft wie ein fallendes Blatt auf der Landefläche auf. Mehrere Gestalten in orangefarbenen Overalls kamen aus dem niedrigen, unauffälligen Gebäude auf der einen Seite der Fläche gerannt, gemächlicher gefolgt von einem Mann in einem legeren blauen Anzug, dessen Farbton sich bei jedem Schritt leicht zu verändern schien, so daß er wie ein schlechter Farbfilm flirrte.
    Der Nachzügler stellte sich unten an die Gangway des Flugzeugs und hielt dem stämmigen älteren Mann in Uniform, der aus dem Jet stieg, die Hand zur Begrüßung hin. »Guten Tag, General. Herzlich Willkommen bei Telemorphix. Mein Name ist Owen Tanabe. Herr Wells erwartet dich.«
    »Weiß ich. Ich hab eben mit ihm gesprochen.« Der uniformierte Mann übersah Tanabes ausgestreckte Hand und marschierte auf die Fahrstuhltüren zu. Tanabe mußte sich umdrehen und sich beeilen, um ihn einzuholen.
    »Du bist nicht das erste Mal hier, sehe ich das richtig?« fragte er den General.
    »War schon hier, als das nichts weiter war als ein Loch im Boden und ein Haufen Pläne, und danach noch ein paarmal.« Er drückte mit einem kurzen Wurstfinger auf die Fahrstuhlknöpfe. »Worauf wartet das Scheißding?«
    »Auf Autorisation.« Tanabes Finger fuhren mit der flinken, geübten Bewegung von jemand, der Blindenschrift liest, über die Knöpfe. »Nach unten«, sagte er. Die Fahrstuhltür schloß sich, und der Fahrkorb setzte sich geräuschlos in Bewegung.
    Weitere Konversationsangebote des jungen japanisch-amerikanischen Mannes wurden ignoriert. Als die Fahrstuhltür sich wieder öffnete, deutete Tanabe auf den dick mit Teppich ausgelegten Raum und seine üppig gepolsterten Möbel. »Herr Wells läßt dich bitten, Platz zu nehmen und einen Moment zu warten. Er wird gleich kommen. Kann ich dir etwas bringen?«
    »Nein. Wird’s lang dauern?«
    »Das glaube ich kaum.«
    »Dann kannst du dich von mir aus aufs Pferd schwingen.«
    Tanabe zuckte charmant mit den Achseln und lächelte. »Nach oben.« Die Tür schloß sich.
     
    General Yacoubian hatte sich eine Zigarre angezündet und beäugte mit grimmigem Mißtrauen ein modernes Kunstwerk – mehrfarbige elektrosensitive Gase in einer durchsichtigen Plastikform, angefertigt nach dem Gipsabdruck eines Unfalltoten –, als mit einem Zischen die Tür hinter dem Schreibtisch aufging.
    »Die schaden deiner Gesundheit, denk daran.«
    Yacoubian wandte seinen mißbilligenden Blick von der Skulptur ab und richtete ihn auf den schlanken,

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