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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Stirnrunzeln, als sie einen Sechserpack Bier aus der Tüte holte und unter den Tisch stellte, dann raffte sie ihren Bademantel hoch und kniete sich auf die grobe Sisalmatte, um nach dem Vakuumsack mit Mielie zu schauen. »Ich arbeitete hart.«
    »Du machst bei der Arbeit was wegen Stephen?«
    »Ich versuch’s, ja.«
    Während sie auf den zwei Ringen des kleinen Halogenherdes Maismehlpfannkuchen buk, nahm ihr Vater ihr Pad auf den Schoß und überflog ein paar Seiten von Das frühe Mesoamerika.
    »Was’n das? Das ganze Buch geht nur um irgendwelche Mexikaner. Warn das die, die den Leuten das Herz rausgeschnitten und gegessen ham?«
    »Ich glaube«, sagte sie und blickte auf. »Die Azteken brachten Menschenopfer, ja. Aber ich hatte noch nicht viel Gelegenheit, es mir genauer anzuschauen. Es könnte sein, daß Susan mir das hinterlassen hat.«
    »Pff.« Er schnaubte und stellte das Pad weg. »Reiche weiße Frau mit ’nem Mordshaus, und sie hinterläßt dir’n Buch?«
    Renie rollte mit den Augen. »›Hinterlassen‹ nicht in dem Sinn …« Sie seufzte und wendete die Pfannkuchen. »Papa, Susan hatte Verwandte. Die bekommen ihren Besitz.«
    Ihr Vater blickte stirnrunzelnd das Buch an. »Die ham sie nich im Krankenhaus besucht, haste gesagt. Wenn ich sterbe, besuchst du mich im Krankenhaus, Mädel. Sonst …« Er hielt inne und dachte einen Augenblick nach, dann grinste er und breitete die Arme aus, wie um ihren winzigen Raum und die wenigen geretteten Habseligkeiten zu umspannen. »Sonst vermach ich das alles jemand anders.«
    Sie sah sich um und begriff im ersten Moment nicht, daß er einen Witz gemacht hatte. Ihr Lachen kam ebenso aus Überraschung wie aus Belustigung. »Ich werd da sein, Papa. Nicht auszudenken, daß jemand anders die Matte kriegen könnte, die ich so liebe.«
    »Dann vergiß es nicht.« Zufrieden mit sich legte er sich aufs Bett zurück und schloß die Augen.
     
    Renie war gerade beim Einschlafen, als das Pad piepste. Sie tastete danach, benommen und zugleich erschrocken, denn es konnte kaum etwas Gutes bedeuten, wenn jemand sie kurz vor Mitternacht anrief. Ihr Vater auf der anderen Seite der Koje wälzte sich knurrend herum und murmelte etwas im Schlaf.
    »Hallo? Wer ist da?«
    »Ich bin Martine Desroubins. Warum versuchst du, mich zu finden?« Ihr Englisch hatte einen Akzent, und ihre Stimme war sonor und selbstsicher – die Stimme einer spätnächtlichen Rundfunkansagerin.
    »Ich wollte … das heißt…« Renie setzte sich auf. Sie entsperrte ihre Bildübertragung, aber da der Bildschirm schwarz blieb, wollte die andere Seite wohl ihre Privatsphäre wahren. Renie stellte den Ton ein wenig leiser, damit ihr Vater nicht aufwachte. »Es tut mir leid, wenn es so aussieht, als ob …« Sie stockte, krampfhaft bemüht, ihre Gedanken zu sammeln. Sie hatte keine Ahnung, wie gut Susan diese Person gekannt hatte oder wie weit man ihr vertrauen konnte. »Ich bin über eine Freundin auf deinen Namen gestoßen. Ich dachte, du könntest mir vielleicht bei einer Familienangelegenheit helfen, wärest womöglich deswegen schon kontaktiert worden.« Diese Frau hatte durch ihre Nachforschungen bereits ihre Identität in Erfahrung gebracht, es hatte also keinen Zweck, sie in dem Punkt zu belügen. »Ich heiße Irene Sulaweyo. Es geht mir nicht darum, Geschäfte zu machen oder so. Ich habe nicht die Absicht, dir Schwierigkeiten zu bereiten oder in deine Privatsphäre einzudringen.« Sie langte nach ihren Zigaretten.
    Eine lange Pause entstand, die durch die Dunkelheit noch länger erschien. »Welche Freundin?«
    »Was…?«
    »Welche Freundin hat dir meinen Namen gegeben?«
    »Doktor Susan Van Bleeck.«
    »Sie hat dir geraten, mich anzurufen?« Echte Überraschung und Verärgerung lagen in der Stimme der Frau.
    »Nicht direkt. Hör zu, es tut mir leid, aber mir ist nicht besonders wohl dabei, über diese Sache mit einer Fremden am Telefon zu reden. Könnten wir uns vielleicht irgendwo treffen? An einem Ort, wo wir uns beide sicher fühlen würden?«
    Die Frau lachte rauh auf, ein wenig rasselnd sogar – auch eine Raucherin, vermutete Renie. »Wo ist die Mitte zwischen Durban und Toulouse? Ich bin in Frankreich, Frau Sulaweyo.«
    »Oh…«
    »Aber ich kann dir versprechen, daß es abgesehen von ein paar staatlichen und militärischen Stellen zur Zeit in ganz Südafrika keine sicherere Telefonleitung gibt. Also, was soll das heißen, Doktor Van Bleeck hat dir geraten, mich anzurufen, aber nicht direkt?

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