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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dürften nicht später als vier wieder da sein«, erzählte seine Mutter gerade dem Wächter.
    »Wenn du außerdem noch irgendwelche Einkäufe erledigen willst, Ma’am, ruf einfach an und sag Bescheid, dann stellen wir die voraussichtliche Rückkehrzeit vor.« Der Wachposten, ein junger, rundköpfiger Blondschopf, hatte seine Daumen in den Gürtel gehakt; seine Finger spielten unbewußt an der hoch im Halfter steckenden Schußwaffe. »Wir wollen doch keinen Alarm auslösen, wenn’s gar nicht sein muß.«
    »Vielen Dank, Holger. Wir sind bestimmt rechtzeitig wieder da.« Sie drückte den Fensterknopf und wartete, bis sich in der großen äußeren Sperre eine Lücke geöffnet hatte, bevor sie hindurch auf die Straße glitt. »Wie geht’s dir, Orlando?« rief sie nach hinten.
    »Prima, Vivien.« In Wirklichkeit hatte er leichte Schmerzen, aber es würde nichts helfen, das zu sagen, und ihr nur das Gefühl geben, sie müßte etwas tun. Er setzte sich gerade hin, während die Crown Heights Community mit ihren schützenden Mauern hinter ihnen zurückblieb.
    Nicht lange, nachdem sie von den kurvenreichen Hügelstraßen auf ebenes Gelände hinuntergerollt waren und das umzäunte Baumreservat hinter sich gelassen hatten, begann der Wagen zu rütteln. Selbst teure Stoßdämpfer konnten wenig gegen mondkratergroße Schlaglöcher ausrichten. Der Bundesstaat Kalifornien und die Bezirksverwaltungen stritten schon seit Jahren über die Zuständigkeit für die großen Fernverkehrsstraßen. Bis jetzt hatten sie sich nicht einigen können.
    »Du fährst zu schnell, Vivien.« Er verkrampfte sich. Er konnte jeden Stoß in den Knochen spüren.
    »Kein Problem. Wir sind gleich da.« Sie sprach mit erzwungener Heiterkeit. Sie haßte es, Auto zu fahren, und sie haßte es, Orlando hinunter ins Flachland zu seinem Arzt bringen zu müssen. Manchmal dachte er, daß sie unter anderem deshalb gelegentlich auf ihn böse wurde, weil er dumm genug gewesen war, sich eine Krankheit zuzuziehen, die nicht ferndiagnostisch oder in dem freundlichen und überaus sicheren Crown Heights Medical Center behandelt werden konnte.
    Sie wurde auch deshalb böse, weil sie Angst um ihn hatte. Vivien war sehr besorgt, und das gleiche galt für seinen Vater Conrad, aber es war die Art von Sorge, die Probleme am liebsten mit vernünftigen Argumenten bekämpfte, bis sie weggingen. Wenn sie nicht weggingen – tja, dann hörten Vivien und Conrad mehr oder weniger auf, darüber zu reden.
     
    Es war seltsam, unter den Bäumen hervorzukommen und wieder im Flachland zu sein. In Crown Heights, im Schutz des Grüngürtels und der Armee von privaten Wachleuten, konnte man glauben, in den letzten paar hundert Jahren hätte sich nicht viel geändert, Nordkalifornien wäre immer noch ein im wesentlichen offenes Land, ein mildes Paradies von Redwoodwäldern und weit auseinander liegenden, sicheren Gemeinden. Und das, überlegte Orlando, war wahrscheinlich der Grund, aus dem Leute wie seine Eltern in Crown Heights wohnten.
    Der Metroplex der San Francisco Bay Area war früher einmal eine Ansammlung klar abgegrenzter Großstädte am Rande der V-förmigen Bucht gewesen, ähnlich zwei Fingerspitzen, die behutsam etwas Wertvolles hielten. Jetzt waren die Städte zu einer kompakten Masse zusammengewachsen, welche die Bucht und ihre Wasserstraßen mit einer weit über hundert Quadratmeilen großen Faust umklammerte. Nur das sagenhaft wertvolle, großindustriell bewirtschaftete Anbaugebiet des Central Valley hatte den Metroplex und seinen südlichen, um Los Angeles herum wuchernden Rivalen davon abgehalten, im Zuge der gleichförmigen Verstädterung zu einem einzigen dichten Teppich zu verschmelzen.
    Während sie unter dem freischwebenden Highway 92 hindurchfuhren, rutschte Orlando auf seinem Sitz möglichst weit nach unten, damit er die Hängemattensiedlung sehen konnte. Seit langem schon faszinierten ihn die mehrschichtigen Shantytowns, von ihren Bewohnern manchmal »Wabendörfer« genannt – oder »Rattenlöcher« von Leuten, wie sie in Crown Heights wohnten. Als er seine Eltern danach gefragt hatte, hatten sie ihm nicht mehr darüber erzählt, als offensichtlich war, und so hatte er das Netz nach altem Nachrichtenmaterial durchforscht.
    Vor langer Zeit, hatte er entdeckt, während der ersten großen Wohnungskrise Anfang des Jahrhunderts, hatten Squatter angefangen, unter den Hochautobahnen Shantytowns zu bauen, phantasievolle Konglomerate aus Pappkartons, Aluminiumabdeckungen und

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