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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Sehnerven geleitet. Er öffnete die Augen wieder, und der Bildschirm schwebte immer noch vor ihm, aber jetzt konnte er auch die dunklen Wände seines Zimmers und die skelettartige Silhouette seines Infusionsständers sehen wie auf einem doppelbelichteten Foto. Er hatte Stunden damit zugebracht, die Kalibrierungen hinzukriegen, aber der Aufwand hatte sich gelohnt.
    Das ist chizz! Es funktioniert genauso gut wie mit Glasfaserkabel – nein, besser. Ich muß nie wieder offline sein.
    Elaine Strassman erschien am Bildschirm. Sie war jung, wahrscheinlich Mitte zwanzig, und reichlich mit Schmuck behängt. Ihre dunklen Haare waren zu einem Dutt hochgedreht und in etwas Metallicschimmerndes gewickelt. Orlando schloß die Augen, um sein Zimmer auszusperren, damit er sie genauer betrachten konnte. Er meinte, sie zu kennen, aber war sich nicht ganz sicher.
    »Äh … Orlando Gardiner?« fragte sie.
    »So ist es.«
    »Hi, ich bin Elaine Strassman? Von Indigo?« Sie zögerte, deutlich ein wenig konsterniert, und kniff die Augen zusammen. »Der… der Orlando Gardiner, den ich suche, ist vierzehn Jahre alt.«
    Meine Güte, sie arbeitete in der Gearbranche, und sie konnte keinen Sim erkennen? Entweder sie dumpfte total, oder sie sah schlecht. War nicht jeder in LA/San Diego inzwischen an den Augen operiert? »Ja, der bin ich. Das ist ein Sim. Ich konnte nicht ans reguläre Telefon, deswegen auch kein Videobild.«
    Sie lachte. »Ich bin an Sims gewöhnt, aber die meisten Kids … die meisten Leute deines Alters haben …«
    »Was Aufgemotzteres. Tja, aber das hier ist mir lieber. Damit redet sich leichter mit Erwachsenen wie dir. Jedenfalls ist das die Absicht.« Er fragte sich, welchen Sim Beezle für ihn ausgesucht hatte. Vom Erscheinungsbild her reichten seine Sims von einem, der ein klein wenig älter wirkte, als er tatsächlich war, bis zu einer ziemlich gesetzten und onkelhaften Persona, die besonders beim Umgang mit Institutionen und Autoritätspersonen im allgemeinen nützlich war. »Was kann ich für dich tun?«
    Sie holte Luft und versuchte, den forschen Ton wiederzufinden, den sie verloren hatte. Es war gut, wenn man die Leute verblüffte, überlegte Orlando. Auf die Weise kriegte man mehr über sie raus – und sie weniger über einen selbst. »Also«, sagte sie, »nach unseren Unterlagen hast du eine Vorführung mitverfolgt, die ich im SchulNetz gegeben habe, und hinterher hast du dich außerdem nach ein paar Sachen erkundigt, über die ich gesprochen hatte. Propriozeptionsschleifen?«
    »Jetzt erinnere ich mich. Ja, das war ziemlich interessant. Aber einer von euren Technikern hat mir schon Daten dazu geschickt.«
    »Wir waren von deinen Fragen außerordentlich beeindruckt. Und einige davon hielten wir für besonders scharfsinnig.«
    Orlando sagte nichts, aber seine inneren Antennen kribbelten. Konnte es sein, daß der geheimnisvolle Häcker sich auf diesem Umweg an ihn heranmachte? Es war schwer zu glauben, daß Elaine Strassman mit ihrer Modefrisur und ihrem Schmuck aus Kolibrischädelchen die Person sein sollte, die Mittland so gekonnt gehäckt hatte, aber Äußerlichkeiten konnten täuschen. Oder sie konnte für jemand anders arbeiten, vielleicht ohne es zu wissen.
    »Na ja, geht schon«, sagte er so gelassen, wie er konnte. »Ich interessiere mich ziemlich für VR.«
    »Das wissen wir. Ich hoffe, das hört sich nicht schrecklich an, aber wir haben ein paar Erkundigungen über dich eingezogen. Im SchulNetz zum Beispiel.«
    »Erkundigungen.«
    »Nichts Privates«, versicherte sie hastig. »Nur über deine Noten und deine speziellen Interessen auf dem Gebiet. Wir haben mit einigen von deinen Lehrern gesprochen.« Sie machte eine Pause, als sollte gleich eine große Eröffnung kommen. Orlando merkte an den Schmerzen in seinen Fingern, daß er die Fäuste geballt hatte. »Hast du irgendwelche Pläne, was du nach der Schule machen willst?« fragte sie.
    »Nach der Schule?« Er öffnete die Augen, und Elaine Strassman schien wieder über dem Fußende seines Bettes zu schweben.
    »Wir haben hier bei Indigo ein Ausbildungsprogramm«, sagte sie. »Wir wären bereit, dein Studium zu finanzieren – wir haben eine breite Palette der besten High-Tech-Studiengänge zur Auswahl –, sämtliche Unkosten zu übernehmen, dich sogar zu speziellen Seminaren an verschiedenen absolut akkuraten Orten zu schicken.« Sie gebrauchte den Ausdruck mit der leichten Überbetonung von jemand, die wußte, daß man ihr den Netgirlslang nicht mehr

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