Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
Deckplatte das Fach mit der Verbindungshardware entdeckt und stöpselte sich ein.
Der Raum blieb, wie er war, aber auf der anderen Seite des Tisches tauchten unvermittelt Seite an Seite die Schwestern Beinha auf beziehungsweise ihre Sims, die so unpersönlich waren wie zwei Pakete in braunem Packpapier. Eine Sekunde lang war Dread verdutzt, bis ihm klarwurde, daß er sich in einer Simulation befand, die den Raum noch genauer verdoppelte, als dieser sein eigenes Online-Büro widerspiegelte.
»Sehr nett«, sagte er. »Vielen Dank für diese freundliche Begrüßung.«
»Manche Leute brauchen zum Arbeiten ihre gewohnte Umgebung«, sagte eine der Beinhas in einem Ton, dem zu entnehmen war, daß weder sie noch ihre Schwester zu diesen Leuten gehörten. »Unser Plan stellt hohe Ansprüche. Du wirst dein Bestes geben müssen.«
»Wir warten auf das zweite Drittel unserer Bezahlung«, sagte die andere unförmige Gestalt.
»Ihr habt die codierte Liste erhalten?«
Beide Schwestern nickten synchron.
»Dann lade ich jetzt einen der beiden Schlüssel herunter.« Er tastete auf dem unbekannten Tisch nach dem Sensorbildschirm, öffnete das Konto, das der Alte Mann angelegt hatte, und sandte den Schwestern einen der beiden Verschlüsselungscodes, die man brauchte, um auf die Liste zuzugreifen. »Ihr bekommt den anderen, sobald die Operation anläuft wie verabredet.«
Als die Beinhas – beziehungsweise ihr Expertensystem – die Warenaufstellung geprüft hatten, nickten sie abermals, diesmal mit dem Ausdruck der Zufriedenheit. »Wir haben viel zu tun«, sagte die eine.
»Ich habe im Moment Zeit, allerdings muß ich heute abend nicht allzu spät noch unbedingt etwas erledigen. Morgen bin ich ganz der eure.«
Die Zwillingsgestalten schwiegen einen Weilchen, als würden sie dies als eine reale Möglichkeit bedenken.
»Zunächst einmal«, sagte eine, »hat das Objekt seit unserer letzten Unterredung den Sicherheitsdienst gewechselt. Das neue Unternehmen hat die Schutzvorkehrungen auf dem Gelände in mehreren Punkten geändert, die wir noch nicht alle ermitteln konnten. Wir wissen wenig über das neue Unternehmen, während wir bei der vorigen Firma mehrere Informanten hatten.«
»Was vielleicht den Wechsel erklären könnte.« Dread rief den Bericht auf. Die Information schwebte vor ihm im Raum. Er holte sein übriges Material dazu, Tabellen, Listen, topographische Karten, Lagepläne. Farbcodiert und funkelnd verwandelten sie das virtuelle Büro in ein Neonmärchenland. »Welche Konsequenzen hat diese Änderung des Wachdienstes für euern Plan?«
»Sie bedeutet natürlich mehr Gefahr für dich und den Rest des Bodenteams«, sagte eine der Schwesterngestalten. »Und sie bedeutet, daß wir zweifellos mehr Personen töten müssen als ursprünglich vorgesehen.«
»Ach.« Er lächelte. »Wie bedauerlich.«
Selbst aufs Wesentliche beschränkt nahm die Besprechung der neuen Wendungen in der Operation mehrere Stunden in Anspruch. Als er den Kontakt beendet und sein neues Büro verlassen hatte, fühlte er sich von der Arbeit und dem Flug völlig ausgelutscht. Er ging am Hafen entlang zurück und ließ sich von dem beruhigenden Geräusch des Ozeans überspülen. Als er ein großes und imposantes Bürogebäude passierte, kam ein kleines Geschwader ferngesteuerter Kameras angeschwärmt, aktiviert von der Bewegung oder der Körperwärme. Sie überflogen ihn einmal und zogen sich dann wieder in den Schatten zurück, wobei sie ihn die ganze Zeit aufnahmen. Müde und gereizt widerstand er dem Impuls, sich an diesen Überwachungsautomaten abzureagieren, sie zu beschädigen oder durcheinander zu bringen. Es wäre reine Zeitverschwendung und albern obendrein. Sie machten nur ihren Job, nämlich eine Person aufzunehmen, die zu später Stunde in der Nähe ihres Gebäudes war. Am Morgen würde sich ein gelangweilter Wachmann die Bilder kurz anschauen und dann die Daten löschen. Solange er nichts Unbedachtes tat, hieß das.
Selbstsicher, großspurig, faul, tot, erinnerte er sich, als er ohne einen Blick zurück weiterging. Der Alte Mann wäre stolz auf ihn.
Er betrat sein Zimmer und zog sich aus, dann hängte er seinen Anzug in den Schrank. Er musterte seine nackte Gestalt eine Weile im Spiegel, bevor er sich aufs Bett setzte und den Wandbildschirm anschaltete. Er holte seine innere Musik dazu, einen wuchtigen »Mono loco« in tiefen Tönen nahe der Infraschallgrenze, zu Ehren seines Kolumbienbesuchs. Er fand etwas auf dem Wandbildschirm
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