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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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immer noch ratlos. Ihm fehlte ein Schneidezahn, und er hatte komische rosa Flecken an seinen braunen Armen. »Du darfst sie nicht stehlen.«
    »Komm schon, werf rüber.«
    Sie sah ihn an, dann faßte sie die Schere an beiden Griffen. Sie holte aus und warf sie so hoch, wie sie konnte. Die Schere prallte gegen den Zaun und hätte sie beim Herunterfallen beinahe getroffen.
    Der Junge lachte. »Zu nah dran, Tussi. Zurück.«
    Sie versuchte es noch einmal. Diesmal schaffte sie es. Die Bolzenschere rasselte zwischen den scharfen Stacheldrahtspulen obendrauf hindurch und fiel auf der anderen Seite zu Boden. Der Junge hob sie auf und betrachtete sie.
    »Ich für dich schneide, ich behalte?«
    Sie überlegte einen Moment, dann nickte sie, obwohl sie nicht sicher war, ob Herr Sellars böse sein würde oder nicht. Der Junge setzte an dem nächsthöheren Draht über dem an, den sie schon durchgeschnitten hatte, und drückte zu. Es war auch für ihn schwer, und er sagte ein paar Worte, die sie noch nie gehört hatte, aber nach einem Weilchen schnappte der Draht entzwei. Er machte sich an den nächsten.
    Als er fertig war, stand Christabels Uhr auf 14:37.
    »Ich muß heim«, sagte sie. Sie drehte sich um und lief über den kahlen Zwischenraum zum ersten Zaun.
    »Was ise, Tussi?« rief er hinter ihr her. »Nix lauf weg von Mamapapa Armeeplatz? Warum mach das?«
    Sie huschte durch das Loch im ersten Zaun und wollte sich gerade auf ihr Fahrrad schwingen, als sie sich erinnerte. Sie ging zurück und entrollte das Stück Gaze, das Herr Sellars ihr mitgegeben hatte. Ein Zaun dieser Art, hatte er gesagt, der erste Zaun, redete mit sich selbst, und deshalb war das kleine Stück Gaze nötig, damit er auch an den Stellen weiterreden konnte, die sie durchgeschnitten hatte. Sie wußte nicht, was das heißen sollte, aber sie wußte, daß es sehr wichtig war. Sie zog die Gaze auseinander, bis sie die ganze durchgeschnittene Stelle bedeckte. Sie blieb dort haften, wo Christabel sie andrückte.
    »He, Tussi, komm zurück!« schrie der Junge.
    Aber Christabel war schon dabei, die ganzen Sachen in ihren Schulranzen zu stopfen, und sie blickte nicht zurück. Als sie auf ihr Fahrrad sprang, fingen die Kästen am Zaun wieder an zu klicken. Wenige Sekunden später, als sie schon heimwärts strampelte, hörte sie die Musik am Sportplatz mit einem schrägen Jaulen wieder angehen.

Kapitel
Die Braut des Morgensterns
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Krellor erklärt abermals Konkurs
    (Bild: Krellor mit Hagen an einem tasmanischen Strand)
    Off-Stimme: Der buntschillernde und umstrittene Finanzier Uberto Krellor hat zum zweitenmal in zehn Jahren Konkurs angemeldet. Krellor, ebenso bekannt für seine notorisch stürmische Ehe mit dem Netzstar Vila Hagen und seine monatelangen Partys wie für seine Geschäfte, soll bei dem Zusammenbruch seines Technologieimperiums Black Shield SKr 3,5 Milliarden verloren haben.
    (Bild: Black-Shield-Mitarbeiter verlassen ein madegassisches Werk)
    Black Shield, ein früher und stark subventionierter Einstieg in die Nanotechnologie, erlitt gewaltige Verluste, als die Finanzwelt nach einer Reihe enttäuschender technischer Fehlschläge das Vertrauen in den neuen Industriezweig verlor …
     
     
    > »Martine, bitte, wir sind in Not.« Renie versuchte ruhig zu bleiben, aber ohne Erfolg. »Vergiß das mit der Anlage – wir müssen ein Versteck finden. Wir können nirgends mehr hin!«
    »Sowas Verrücktes hab ich noch nie nich erlebt«, sagte ihr Vater vom Rücksitz. »Ein ewiges Rumgejuckel.«
    Der leere Bildschirm blieb entnervend lange stumm, während Jeremiah den Wagen auf die Autobahn lenkte und wieder stadteinwärts fuhr. Das Pad war in Doktor Van Bleecks Mobiltelefon eingesteckt, und die Übertragung war gescrämbelt, aber obwohl die Französin mit der Sicherheit der Leitung zufrieden zu sein schien, war Renie mit den Nerven am Ende. Der Schock, den Del Rays Verrat ihr versetzt hatte, hatte sie völlig aus dem Gleis geworfen.
    »Ich tue, was ich kann«, sagte Martine schließlich. »Deshalb bin ich öfter still – ich bin an mehreren Leitungen gleichzeitig. Ich bin dabei, noch andere Sachen zu prüfen. Wenigstens werdet ihr in keinem Polizeibericht erwähnt.«
    »Das wundert mich nicht.« Renie bemühte sich um Fassung. »Was sie auch aushecken mögen, es wird auf jeden Fall viel subtiler sein. Wir haben ja nichts verbrochen, also werden sie eine andere Ausrede erfinden. Einer von Doktor Van Bleecks Nachbarn wird melden, daß fremde

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