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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Sonst wird Papa böse.«
    Sie fühlte, wie eine trockene, knochige Hand sich um ihr Handgelenk schloß. »Aber du darfst jetzt nicht gehen. Er ist dort draußen, weißt du das nicht?«
    »Er?« Renie wurde zusehends aufgeregter. »Aber ich muß dort hinüber! Ich muß Stephen die Bücher bringen, die er für die Schule braucht!« Die Vorstellung, daß ihr Bruder allein und in Tränen aufgelöst auf sie wartete, stritt mit dem furchtbaren Gewicht von Susans Worten. Sie wußte nur vage, was die Worte bedeuteten, aber daß es etwas Schlimmes war, wußte sie sehr wohl.
    »Natürlich er! Er wittert uns!« Der Griff an Renies Arm wurde fester. »Er haßt uns, weil wir hier oben sind und weil wir es warm haben, während er es so kalt hat.«
    Noch während die Professorin redete, spürte Renie etwas – einen eisig scharfen Wind, der aus der Wüste heranwehte. Die anderen nahezu unsichtbaren Gestalten spürten ihn auch, und ein allgemeines erschrockenes Geflüster erhob sich.
    »Aber ich kann nicht hierbleiben. Stephen ist da draußen, auf der andern Seite.«
    »Aber hinuntergehen kannst du erst recht nicht.« Die Stimme der Professorin schien sich verändert zu haben, und ihr Geruch auch. »Er wartet, versteh doch! Er wartet immer, weil er immer draußen ist.«
    Es war nicht mehr die Professorin, die neben ihr in der Dunkelheit saß, es war ihre Mutter. Renie erkannte ihre Stimme und den Duft des zitronigen Parfüms, das sie gern genommen hatte.
    »Mama?« Es kam keine Antwort, aber sie fühlte die Wärme ihrer Mutter nur wenige Zentimeter entfernt. Als Renie wieder zu reden ansetzte, spürte sie etwas Neues, etwas, das sie vor Angst erstarren ließ. Etwas war da draußen, schlich unter ihnen im Dunkeln herum, schnupperte nach etwas zu fressen.
    »Still!« zischte ihre Mutter. »Er ist ganz nahe, Kind!«
    Ein Gestank stieg zu ihnen hoch, ein seltsam eisiger Geruch von toten Dingen und alten, vor langem verbrannten Dingen und muffigen, verlassenen Orten. Genauso stark und deutlich wie der Gestank drang ein Gefühl an Renies Sinne, eine spürbare Welle teuflischer Bosheit, voll Neid und bohrendem Haß und Elend und abgrundtiefer Einsamkeit, die Ausdünstung eines Wesens, das schon vor Anbeginn der Zeit in die Finsternis verbannt worden war und das vom Licht nichts anderes wußte, als daß es das Licht haßte.
    Auf einmal wollte Renie diesen hohen Ort auf keinen Fall mehr verlassen.
    »Mama«, fing sie an, »ich muß …«
    Plötzlich glitten ihre Füße unter ihr weg, und sie stürzte hilflos ins Schwarze, fiel und fiel und fiel, und das teuflische, böse, mächtige Ungeheuer dort unten riß seinen großen, stinkenden Rachen auf, um sie zu fassen…
     
    Nach Luft schnappend fuhr Renie auf. Das Blut pochte ihr in den Ohren. Eine ganze Weile wußte sie nicht, wo sie war. Als es ihr einfiel, wurde es nicht viel besser.
    Verbannt. Flüchtig. In ein fremdes, unbekanntes Land vertrieben.
    Die letzte Empfindung des Traums, der Fall auf etwas lauerndes Böses zu, war noch nicht völlig vergangen. Ihr war schlecht, und sie hatte am ganzen Leib Gänsehaut. Die Zeit der Hyäne, dachte sie und wäre am liebsten verzweifelt. Wie !Xabbu gesagt hat. Und sie ist wirklich da.
    Sogar sich wieder hinzulegen, fiel ihr schwer, doch sie zwang sich dazu. Das regelmäßige Atmen der anderen, das in der großen Dunkelheit über ihr aufstieg und hallte, war ihre einzige Verbindung zum Licht.
     
     
    > »Soll das heißen, wir hätten gestern nacht Strom ham können?« Long Joseph stieß seine Hände in die Hosentaschen und beugte sich vor. »Statt um so’n Feuer rumzusitzen?«
    »Der Strom ist an, ja.« Es nervte Renie, die Erklärung noch einmal geben zu müssen. »Strom für den Eigenbedarf der Anlage und für die Sicherheitssysteme. Aber das bedeutet nicht, daß wir mehr davon benutzen sollten als nötig.«
    »Ich hab mir den Fuß gestoßen, als ich im Dunkeln das Klo gesucht hab. Ich hätt in so’n Loch fallen und mir den Hals brechen können …«
    »Hör zu, Papa«, fing sie an, aber ließ es dann bleiben. Warum immer wieder die gleichen Gefechte austragen? Sie drehte sich um und schritt über die weite Betonfläche auf die Fahrstühle zu.
    »Wie sieht’s aus?« fragte sie.
    !Xabbu blickte auf. »Herr Singh arbeitet noch daran.«
    »Sechs Stunden«, sagte Jeremiah. »Wir werden dieses Ding nie aufkriegen. Ich hatte eigentlich nicht vor, den Rest meines Lebens in einer gottverdammten Garage zu verbringen.«
    Singhs Stimme, auf einen Bruchteil

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