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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Luchsin besser schmeckten als jede andere. Wenn sie einen Fehler hatte, dann den, daß sie ein wenig gierig war, da sie vor ihrer Heirat mit Herz der Morgenröte oft hungrig gewesen war, und immer wenn sie die süßen weißen Eier fand, die wie Reiskörner aussehen, mußte sie alle aufessen. Da die Hyänentochter das wußte, sammelte sie einen Haufen Ameiseneier und ließ sie an einer Stelle liegen, wo die Luchsin sie finden mußte, doch zuerst nahm sie von ihrem Duftstoff, Schweiß aus ihrer Achselhöhle, und mischte ihn darunter. Dann ließ die Hyänentochter die Eier liegen und versteckte sich.
    Die Luchsfrau und ihre Schwester suchten nach Nahrung, als die Luchsfrau auf den Haufen Ameiseneier stieß. ›Oh‹, rief sie, ›hier liegt etwas Gutes! Hier liegt etwas Gutes!‹ Aber ihre Schwester schöpfte Verdacht und sagte: ›An dieser Speise ist etwas Übelriechendes. Ich glaube nicht, daß sie eßbar ist.‹ Doch die Luchsin war zu aufgeregt. ›Ich muß sie essen‹, sagte sie und nahm sich sämtliche Ameiseneier, ›denn es kann lange dauern, bis ich so etwas wiederfinde.‹
    Die Luchsschwester jedoch wollte nicht von den Eiern essen, weil der Hyänengeruch sie störte.
    Als sie zurück ins Lager kamen, bekam die Luchsfrau Schmerzen im Bauch, und ihr Kopf wurde heiß, als ob sie zu nahe am Feuer säße. Sie konnte weder in dieser Nacht noch in der nächsten schlafen. Ihre Schwester schalt sie wegen ihrer Gier und holte ihre Mutter zur Hilfe, aber die alte Frau konnte nichts tun, und die Luchsin wurde immer kränker. Sie stieß ihren kleinen Sohn von sich. Sie schrie und erbrach sich und verdrehte die Augen. Eines nach dem anderen gingen ihre schönen Schmuckstücke ab und fielen auf den Boden, erst die Ohrringe, dann die Armbänder und die Fußbänder, ihr Fellumhang, sogar die Lederriemen ihrer Sandalen, bis sie nackt und weinend dalag. Da plötzlich stand die Luchsin auf und lief in die Dunkelheit davon.
    Die Luchsmutter war so entsetzt, daß sie in ihr eigenes Lager zurücklief, um ihrem Mann zu sagen, daß ihre Tochter dem Tode nahe war, aber die Schwester folgte der Fliehenden.
    Als das Lager leer war, drang die Hyänentochter aus der finsteren Nacht jenseits des Feuerscheins ein. Zuerst legte sie die hingefallenen Ohrringe der Luchsin an, dann hob sie ihre Bänder mit Straußeneierperlen und ihren Fellumhang auf und zog sie an, sogar ihre Sandalen. Als sie das getan hatte, setzte sich die Hyänentochter ans Feuer, lachte und sprach: ›Jetzt bin ich die Frau von Herz der Morgenröte, wie es sich gehört.‹
    Die Luchsfrau floh in den Busch, und ihre Schwester folgte ihr. In ihrem Unglück lief die Luchsfrau, bis sie in ein Schilf am Wasser kam, und dort setzte sie sich weinend und klagend nieder. Ihre Schwester kam ihr hinterher und rief: ›Warum gehst du nicht zurück nach Hause? Wenn nun dein Mann heimkehrt und dich nicht am Feuer vorfindet? Wird er sich nicht deinetwegen ängstigen?‹ Aber die Luchsin ging nur immer weiter ins Schilf, bis sie knietief im Wasser stand, und sprach: ›Ich fühle den Geist der Hyäne in mir. Ich bin einsam und habe Angst, und Dunkelheit hat sich auf mich gelegt.‹
    Deswegen, was mit der Luchsfrau geschah, sagen meine Leute noch heute, es sei für jemand ›die Zeit der Hyäne‹, wenn der oder die Betreffende am Geist erkrankt ist.
    Die Schwester hielt der Luchsin das Kind hin und sprach: ›Dein Sohn will trinken. Sieh nur, was er für einen Hunger hat! Du mußt ihm die Brust geben.‹ Und kurzfristig ließ sich die Luchsin überreden, herbeizukommen und ihr Kind zu säugen, dann aber legte sie es hin und floh zurück ins Wasser, diesmal noch tiefer, daß es ihr bis zur Taille ging. Wenn ihre Schwester sie überredete, herauszukommen und ihr Kind zu stillen, nahm die Luchsfrau ihren Sohn eine Zeitlang, aber die Zeit wurde jedesmal kürzer, und jedesmal, wenn sie sich wieder ins Wasser zurückzog, ging sie tiefer hinein, bis es ihr schließlich fast an den Mund reichte.
    Zuletzt ging die Luchsschwester traurig fort und nahm den kleinen Jungen mit, damit er sich am Feuer aufwärmen konnte, denn unter dem Nachthimmel war es kalt, und im Schilf war es noch kälter. Doch als sie sich dem Lager näherte, sah sie eine Frau mit glühenden Augen und mit allen Kleidern und Schmuckstücken der Luchsin angetan am Feuer sitzen. ›Ah!‹ sagte die Frau. ›Da ist ja mein kleiner Sohn! Warum hast du ihn mir weggenommen? Gib ihn sofort her!‹ Im ersten Augenblick war die

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