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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sie mußte die Hände auf den kühlen Betonboden legen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
    »Das ist ein gutes Feuer«, erklärte !Xabbu . Die anderen, die mehr Komfort gewöhnt waren, blickten ihn bedrückt an. Das Essen war passabel gewesen, und eine Zeitlang hatte Renie die Situation ignorieren und ein wenig auftauen können, so als wären sie einfach beim Campen, aber das hatte nicht lange angehalten.
    !Xabbu musterte die Mienen seiner Begleiter. »Ich denke, es wäre nicht schlecht, eine Geschichte zu erzählen«, sagte er plötzlich. »Ich kenne eine, die mir zu passen scheint.«
    Renie brach das sich anschließende Schweigen. »Bitte erzähl sie.«
    »Die Geschichte handelt von Verzweiflung, und wie man sie überwindet. Ich denke, es ist eine gute Geschichte für diese Nacht, in der Freunde um ein Feuer versammelt sind.« Die Lachfältchen um seine Augen bildeten sich wieder. »Zuerst jedoch müßt ihr ein wenig über mein Volk erfahren. Ich habe Renie schon ein paar Geschichten erzählt, vom alten Großvater Mantis und anderen aus dem Urgeschlecht. Die Geschichten spielen vor langer Zeit, in einer Zeit, als alle Tiere Menschen waren und Großvater Mantis noch selbst auf Erden wandelte. Aber diese Geschichte jetzt handelt nicht von ihm.
    Die Männer meines Volkes sind Jäger – das heißt, sie waren Jäger, da fast niemand mehr übrig ist, der auf die althergebrachte Art lebt. Auch mein Vater war Jäger, ein Wüstenbuschmann, und nur weil er eine Elenantilope verfolgte, gelangte er aus dem Land, das er kannte, und lernte meine Mutter kennen. Ich habe Renie die Geschichte schon erzählt, und ich werde sie heute abend nicht noch einmal vortragen. Aber wenn die Männer meines Volkes auf die Jagd gingen, mußten sie sich oft weit weg von ihren Frauen und Kindern begeben, um Wild zu finden.
    Die allergrößten Jäger jedoch sind die Sterne am Himmel. Meine Leute beobachteten, wie sie bei Nacht über den Himmel zogen, und erkannten, daß die Buschleute nicht die einzigen waren, die lange und weit durch schwieriges Gelände wandern mußten. Und der mächtigste von allen diesen großen Jägern ist der, den ihr den Morgenstern nennt, aber den wir Herz der Morgenröte nennen. Er ist der unermüdlichste Fährtenverfolger in der ganzen Welt, und sein Speer fliegt weiter und schneller als jeder andere.
    Damals in der Vorzeit wollte sich Herz der Morgenröte eine Frau nehmen. Alle Leute des Urgeschlechts brachten ihre Töchter an in der Hoffnung, der allergrößte Jäger würde sie zu seiner Braut erwählen. Alle Mädchen von Elefant und Python, Springbock und Langnasenmaus tanzten vor ihm, aber keine sprach sein Herz an. Von den Katzen war die Löwin zu groß, die Leopardin zu gefleckt. Er entließ sie feierlich eine nach der anderen, bis seine Augen auf die Luchsin fielen. Mit ihrem hellen Fell und ihren Ohren, die funkelnden Feuerzungen glichen, erschien sie ihm wie eine Flamme. Er fühlte, daß von allen, die an ihm vorbeigezogen waren, sie die eine war, die er heiraten sollte.
    Als ihr Vater den Antrag von Herz der Morgenröte annahm, was er mit Freuden tat, gab es ein Fest mit Tanzen und Singen. Alle Leute des Urgeschlechts kamen. Bei denjenigen, deren Töchter nicht erwählt worden waren, bestand eine gewisse Eifersucht, aber durch das Essen und die Musik wich das Böse aus den meisten Herzen. Der einzige, der an der Feier nicht teilnahm, war der Hyänenvater, von dessen Tochter sich Herz der Morgenröte abgewandt hatte. Er war stolz, und seine Tochter nicht minder. Sie fühlten sich beleidigt.
    Nach ihrer Trauung liebte Herz der Morgenröte seine Luchsfrau immer mehr. Sie wurde schwanger, und bald brachte sie einen Sohn zur Welt. In seiner Freude über seine neue Frau brachte der große Jäger ihr von seinen Fahrten am Himmel schöne Sachen mit – Ohrringe, Arm- und Fußbänder und einen schönen Fellumhang –, und sie trug alle und war glücklich. Da sie eine gute Ehefrau war und daher nachts, wenn ihr Mann am Himmel jagte, ihr Feuer nicht verließ, kam ihre jüngere Schwester sie besuchen. Zusammen redeten und lachten und spielten sie mit dem kleinen Sohn der Luchsin, während sie auf die Heimkehr von Herz der Morgenröte warteten.
    Aber dem Hyänenvater und seiner Tochter saß noch immer der bittere Zorn im Magen, und daher schickte der Alte, der listiger war als fast alle anderen, seine Tochter heimlich ins Lager von Herz der Morgenröte und seiner Luchsfrau. Es gab eine Speise, Ameiseneier, die der

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