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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hohe Raum lag bis auf eine einzelne Lichtsäule, die schräg durch das Buntglasfenster fiel, ganz im Schatten. Auch das Fenster war mit dem Wappen des Hohen Schiedgerichts geschmückt, und das hindurchscheinende Licht fiel exakt auf die im Kreis darunter sitzenden Gestalten in Masken und langen Gewändern. Sogar die steinernen Wände, ganz glatt gescheuert im Lauf der Jahrhunderte, sahen überzeugend alt und erhaben aus. Obwohl er das alles nicht zum erstenmal sah, mußte Orlando die viele Arbeit bewundern, die darin eingeflossen war. Aus diesem Grund hatte er immer ausschließlich Mittland gespielt: Seine Baumeister und Besitzer waren Spieler und Künstler, keine Sklavenarbeiter im Sold eines Großkonzerns. Sie achteten auf die Feinheiten, weil sie sich selbst darin aufhalten wollten.
    Eine der Gestalten erhob sich und sprach mit fester, deutlicher Stimme: »Thargor, wir haben über deinen Einspruch beraten. Wir kennen alle deine Geschichte und haben deine wagemutigen Taten bewundert. Wir kennen dich auch als einen Kämpfer, der das Schiedsgericht nicht leichtfertig anruft.« Es entstand eine Pause. Alle Gesichter, unergründlich unter den Stoffmasken, waren dem Sprecher zugewandt. »Dennoch erscheint uns dein Einspruch als unbegründet. Thargor, dein Tod wird für rechtmäßig befunden.«
    »Kann ich Zugang zu den Unterlagen erhalten, auf die ihr eure Entscheidung stützt?« fragte Orlando, aber die maskierte Gestalt stockte nicht einmal in der Rede. Nach kurzer Verblüffung begriff Orlando, daß die ganze Urteilsverkündung vom Band ablief.
    »… Wir sind sicher, daß du bei deinen Fähigkeiten in anderer Gestalt nach Mittland zurückkehren und einen neuen Namen im ganzen Land berühmt machen wirst. Aber alle, welche die Geschichte von Mittland in Ehren halten, werden Thargor niemals vergessen. Viel Glück.
    Du hast die Entscheidung des Hohen Schiedsgerichtes vernommen.«
    Der Tempel verschwand, bevor Orlando etwas sagen konnte. Im nächsten Augenblick befand er sich im Anproberaum, wo neue Figuren sich Eigenschaften kauften und sich buchstäblich selbst erschufen, bevor sie Mittland betraten. Er ließ seinen Blick umherschweifen, ohne wirklich etwas zu sehen. Er fühlte eine gewisse Trauer, aber überraschend wenig. Thargor war ein für allemal tot. Nach der ganzen Zeit, in der er Thargor gewesen war, hätte es ihm eigentlich mehr ausmachen müssen.
    »Ach, du bist’s, Gardiner«, sagte der diensthabende Priester. »Hab gehört, daß Thargor abgekackt hat. Tut mir echt leid, aber irgendwann müssen wir alle mal dran glauben, was? Was willste jetzt werden, wieder so’n Kriegertyp oder vielleicht mal was anderes? Ein Zauberer?«
    Orlando schnaubte verächtlich. »Hör mal, kannst du rausfinden, ob Pithlit der Dieb kürzlich da war?«
    Der Priester schüttelte den Kopf. »Das darf ich nicht. Kannst du ihm nicht ’ne Nachricht hinterlassen?«
    »Hab ich schon versucht.« Orlando seufzte. »Na ja, was soll’s. Mach’s gut.«
    »Hä? Du willst dich nicht neu ausstatten? Mann, da draußen prügeln sie sich um deine Position an der Spitze, Gardiner. Dieter Cabo hat schon ’ne offene Herausforderung an alle Konkurrenten ausgesprochen. Er braucht nur noch ganz wenige Punkte, um deinen alten Platz einzunehmen.«
    Es kostete Orlando nur eine äußerst geringe Überwindung, Mittland zu verlassen.
     
    Er sah sich unzufrieden in seinem ElCot um. Es war auf seine Art ganz okay, aber es war so … jung. Besonders die Trophäen, die ihm damals, als er sie erkämpft hatte, so viel bedeutet hatten, waren ihm heute eher peinlich. Und ein Simweltfenster voller Dinosaurier – Dinosaurier! So ein Kinderkram! Selbst das MBC-Fenster kam ihm jetzt lächerlich vor, als Andenken an die Besessenheit von einer Idee, für die sich nur noch Nostalgiker und ein paar Hardwareheads interessierten. Die Menschen würden nie den Weltraum besiedeln – es war zu teuer und zu kompliziert. Die Steuerzahler in einem Land, das seine Sportkolosseen in Zeltstädte umwandeln und seine überschüssigen Gefängnisinsassen auf Frachtkähnen unterbringen mußte, würden nicht Milliarden Dollar dafür ausgeben, ein paar Menschlein in ein anderes Sonnensystem zu schicken, und die Hoffnung, einen nähergelegenen Planeten wie den Mars bewohnbar zu machen, zerrann bereits langsam. Und selbst wenn sich das änderte und die Menschen plötzlich ihre Leidenschaft für den Weltraum wiederentdeckten, würde Orlando Gardiner ganz bestimmt niemals dorthin

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