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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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diesem Augenblick aussehen mußte, erfüllte die Schwärze – den Turban schief auf dem Kopf und den Bademantel unter den Armen hochgeschoben, während er krampfhaft zuckte wie ein Wurm an einem grausamen Haken. Seine Augen rutschten nach oben, bis nur noch das Weiße zu sehen war. Sein zahnloser Mund stand sperrangelweit offen. Renie fühlte seinen Schmerz, fast als ob es ihr eigener wäre, eine schreckliche Spannung, die sie durchlief, als wäre sie ein elektrisch geladener Draht. Es gab einen mächtigen Stromstoß. Sie fühlte, wie Singhs Herz zerbarst. Sie fühlte, wie er starb.
    Das Bild verschwand. Das Dunkel zog wieder auf, die Kälte umklammerte sie fest, und das unvorstellbare Etwas holte sie dicht zu sich heran.
    O Gott, dachte sie hoffnungslos, ich war so dumm. Sie fühlte, wie ihr Bruder und ihr Vater und viele andere sie zornig anschrien. Die Kälte wurde stärker, unglaublich total, so als ob alle Sonnen im Universum gelöscht worden wären. Ihr Körper war mittlerweile zu schwach, um auch nur zu zittern. Die Kraft floß aus ihr aus, ihr Bewußtsein entschwebte, erstarb.
    Urplötzlich tat sich etwas vor ihr auf, wahrnehmbar als eine verschwommene Aufhellung. Ihr war, als stürzte sie aus großer Höhe hinein. Sie fiel irgendwo hindurch – eine Öffnung? Ein Tor? War sie eingedrungen in … dort, wo sie vor Urzeiten einmal hingewollt hatte? Wurde sie eingelassen?
    Irgendwo eine Erinnerung. Zähne. Meilen schimmernder Zähne. Ein riesiges Maul, grinsend.
    Nein, erkannte sie mit einem letzten Aufflackern von Vernunft in ihrem ersterbenden Bewußtsein. Ich werde verschlungen.

Kapitel
Der Tanz
    NETFEED/LINEAR.DOC:
    IEN, Hr. 23 (Eu, NAm) – »DEATH PARADE«
    (Bild: Zeitlupenaufnahme eines Mannes, der von einer aufgebrachten Menge getreten und geschlagen wird)
    Off-Stimme: Sepp Oswalt moderiert eine interessante Auswahl von Todesfällen, darunter einen mit Überwachungskameras eingefangenen Lynchmord durch einen prügelnden Mob, eine Vergewaltigung mit anschließendem Mord, aufgenommen vom Mörder selbst und später als Beweismaterial gegen ihn verwendet, und die Live-Übertragung einer Enthauptung im Freistaat Rotes Meer. Der Gewinner des Maskottchens im Wettbewerb »Mörder des Monats« wird bekanntgegeben.
     
     
    > »So so, Atembeschwerden hast du also?« Der lächelnde strohblonde Mann schob etwas aus kaltem Metall in Orlandos Mund. Es stippte hinten seinen Rachen an, als ob ihn dort jemand mit einem schwachen Gummiband getroffen hätte. »Hmmm. Vielleicht höre ich mir das lieber mal an.« Er hielt Orlando einen Prüfkopf an die Brust und verfolgte dann die Zacken auf dem Wandbildschirm. »Das hört sich nicht gut an, fürchte ich.«
    Das mußte man dem Heini lassen: Er hatte Orlando noch nie gesehen, aber er hatte kaum eine Reaktion gezeigt, hatte nicht einmal diesen komischen Blick aufgesetzt, den Orlando immer wieder erlebte, wenn Leute sich alle Mühe gaben, ihn normal zu behandeln.
    Der blonde Mann richtete sich auf und wandte sich an Vivien. »Es ist definitiv eine Lungenentzündung. Wir werden ihn auf ein paar der neuen Kontrabiotika setzen, aber bei seinen besonderen Umständen – tja, da würde ich empfehlen, daß er zur stationären Behandlung zu uns kommt.«
    »Nein.« Orlando schüttelte entschieden den Kopf. Er haßte die Crown-Heights-Privatklinik, und diesen liebedienernden Reiche-Leute-Doktor mochte er genauso wenig. Er bemerkte auch, daß der aalglatte junge Mediziner über die »besonderen Umstände« – die unübersehbare Tatsache von Orlandos Dauerleiden – nicht sehr erbaut war, aber so gern Orlando gewollt hätte, das konnte er ihm wirklich nicht zum Vorwurf machen. Auch sonst war niemand davon erbaut.
    »Wir reden noch darüber, Orlando.« Der Ton seiner Mutter sagte unmißverständlich, er solle sie vor diesem netten jungen Mann nicht in Verlegenheit bringen, indem er den kleinen Dickschädel spielte. »Vielen Dank, Doktor Doenitz.«
    Der Arzt lächelte, nickte verbindlich und schlenderte aus dem Behandlungszimmer. Während er ihm nachsah, überlegte Orlando, ob er wohl eine besondere Schleimerschule besucht hatte, wo man reiche Patienten hofieren lernte.
    »Wenn Doktor Doenitz meint, daß du stationär behandelt werden mußt…«, fing Vivien an, doch Orlando unterbrach sie.
    »Was wollen sie denn machen? Es ist eine Lungenentzündung. Sie werden mir Kontrabios verpassen, genau wie die andern Male. Was spielt es für eine Rolle, wo ich liege? Außerdem kann ich diesen

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