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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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vielleicht nicht wiederkommt. Ich kann nicht erklären, warum ich das glaube, aber deine Worte sprechen zu mir, wie mein Traum zu mir sprach. Die Zeit ist gekommen, daß alle Kinder von Großvater Mantis sich zusammenschließen – so hieß es in meinem Traum.«
    »Ha.« Singhs Lacher war kurz und rauh. »Damit hätten wir also ein ›Ja‹, ein ›Ich weiß nicht recht‹ und ein ›Mir hat von einer Heuschrecke geträumt‹. Ich denke, meine Antwort ist ebenfalls ja. Also wagen wir’s. Aber wundert euch nicht, wenn ich die ganze Sache sofort hochgehen lasse – ich glaube nicht, daß sie mich zurückverfolgen können, aber wenn ich es verhindern kann, sollen diese Schweinehunde nicht einmal in den Genuß kommen, es zu versuchen.«
    Daraufhin verstummte er. Wieder trat Stille ein.
    Diesmal schien das Warten noch länger zu dauern. Die Schwärze war überall; Renie fühlte sie förmlich in sich einsickern. Was bildeten sie und die anderen sich eigentlich ein? Vier Leutchen wollten in das raffinierteste Netzwerk der Welt einbrechen – und dann? Sich durch unvorstellbare Komplexitäten arbeiten, um Antworten zu finden, die dort vielleicht gar nicht zu holen waren? Ein einzelnes Sandkorn an einem Strand zu finden, wäre einfacher.
    Was macht er bloß? Ob er es überhaupt geknackt kriegt?
    »Martine? !Xabbu ?«
    Keine Antwort. Durch irgendeine Laune von Singhs System oder einen Defekt von ihrem war sie vorübergehend von der Außenwelt abgeschnitten. Die Erkenntnis steigerte ihre klaustrophobischen Ängste nur noch mehr. Wie lange wartete sie jetzt schon im Dunkeln? Stunden? Renie versuchte eine Zeitanzeige aufzurufen, aber das System reagierte auf keines ihrer Signale. Während sie ohne erkennbaren Effekt Hände bewegte, die sie nicht sehen konnte, hatte sie einen Moment lang einen Anflug wirklicher Panik. Sie zwang sich, wieder still zu liegen.
    Beruhige dich, du dumme Kuh. Du liegst nicht auf dem Grund eines Brunnens oder unter einem Erdrutsch. Du bist in einem V-Tank. !Xabbu , dein Vater und Jeremiah sind ganz in der Nähe. Du könntest dich hinsetzen, wenn du wolltest, diese ganzen Schläuche einfach wegreißen und den Tankdeckel hochstemmen, aber damit würdest du alles verpatzen. Du hast lange auf diese Gelegenheit gewartet. Verdirb sie nicht. Sei stark.
    Um sich zu beschäftigen – und um sich zu beweisen, daß die Zeit tatsächlich verging –, fing sie an zu zählen. Dabei krümmte sie einen Finger nach dem anderen, um sich daran zu erinnern, daß sie einen Körper hatte, daß es mehr gab als nur die Schwärze und ihre eigene Stimme in ihrem Kopf. Sie war gerade über dreihundert hinaus, als etwas in ihren Kopfhörern knackte.
    »… Glaube, ich bin durch … ein paar … zwischengeschaltete … Router werden …« Singhs Stimme war sehr leise, als käme sie von weither, aber obwohl seine Worte in knisternden Schüben an ihr Ohr drangen, war seine Furcht unüberhörbar.
    »Hier ist Renie. Kannst du mich hören?«
    Die Stimme des Häckers klang jetzt noch leiser. »… Kein Grund … aufzuregen, aber … hinter mir her …«
    ›Hinter mir her‹? Hatte er ›hinter mir her‹ gesagt? Oder ›hinterher‹? Renie kämpfte gegen ihr eigenes zunehmendes Grauen an. Es gab in Wirklichkeit nichts zu fürchten – nichts Schlimmeres als Entdeckung und Bestrafung, aber diese Aussichten waren mittlerweile schon alte Bekannte. Nur ein abergläubischer Schwachkopf kann sich vor dem Netz fürchten, sagte sie sich.
    Wie zum Hohn kamen ihr Kalis Schlangenarme ins Gedächtnis.
    Wieder das elektrostatische Knistern, aber diesmal keine Worte. Sie merkte auf einmal, daß ihr sehr, sehr kalt war. » !Xabbu ! Martine! Seid ihr da?«
    Schweigen. Die Kälte nahm zu. Bestimmt psychosomatisch. Eine Reaktion auf die Dunkelheit, auf die Isolation und die Ungewißheit. Halt durch, Frau, halt durch. Keine Panik. Kein Grund, sich zu fürchten. Du machst das für Stephen. Du machst das, um ihm zu helfen.
    Sie schlotterte. Sie spürte, wie ihre Zähne klappernd aufeinanderschlugen.
    Schwärze. Kälte. Schweigen. Sie fing wieder an zu zählen, aber kam mit den Zahlen durcheinander.
    »Renie? Bist du da?« Der Ton war dünn, als käme er durch einen langen Schlauch zu ihr. Daß sie sich dermaßen freute, ihren Namen zu hören, verriet ihr, wie sehr sie sich ängstigte. Es verging eine Weile, bevor sie erkannte, wem die Stimme gehörte.
    »Jeremiah?«
    »Der Tank – deine Temperaturanzeige ist ganz weit unten.« Seine Stimme war nur wenig

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