Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
irgend etwas. Telepräsenz hatte das in ihren alten VR-Lehrbüchern geheißen, Kontakt über eine räumliche Entfernung hinweg. »Ich verstehe nicht«, sagte sie. »Was ist denn los?«
    Singh war dermaßen durcheinander, daß er die Unterbrechung nicht übelzunehmen schien. »Es ist offen, weit offen. Ich bin einfach zur Hintertür rein. Die ganzen Male, die ich mich vorher daran zu schaffen gemacht habe, war auf der andern Seite immer irgendein abstruser verschachtelter Code als Barriere. Ich hatte mir eine Lösung dafür ausgetüftelt und dachte, das wäre bloß der erste Abwehrriegel um das Herz des Systems rum – aber jetzt ist er gar nicht da. Es gibt überhaupt nichts, was uns den Eintritt verwehren könnte.«
    »Was?« Martine klang ebenfalls beunruhigt. »Soll das etwa heißen, das gesamte System ist ungeschützt? Das kann ich nicht glauben.«
    »Nein.« Renie konnte Singhs Ratlosigkeit hören. »Ich wünschte, es wäre so, dann wäre es einfach ein Systemausfall. Soweit ich sagen kann, befindet sich das Loch, wenn wir es mal so nennen wollen, nur im letzten Verteidigungsring, auf der Gegenseite meines Eintrittspunktes – jener Hintertür, die wir vor Jahrzehnten in dieses spezielle Gear eingebaut haben. Aber es war vorher noch nie ungeschützt.«
    »Entschuldige, wenn ich von Dingen rede, mit denen ich nicht vertraut bin«, sagte !Xabbu . Renie war überrascht, wie sehr sie sich freute, seine Stimme in der Dunkelheit zu hören. »Aber klingt das nicht nach einer Falle?«
    »Natürlich klingt das nach einer Falle!« Singhs Übellaunigkeit war nicht lange ausgeblieben. »Wahrscheinlich sitzen just in diesem Moment ein Dutzend Systemingenieure von diesem Dreckskerl Atasco in irgendeinem Zimmer wie Eisbären um ein Loch im Eis und warten gespannt, wer wohl seinen Kopf durchstecken mag. Aber sage mir einer, was wir sonst tun sollen.«
    Obwohl sie von ihrem Körper losgelöst wie nie zuvor in einer Art von negativem Raum schwebte, fühlte Renie ihre Haut prickeln. »Die wollen, daß wir versuchen reinzugehen?«
    »Ich weiß es nicht«, erwiderte der alte Häcker. »Wie gesagt, dieses Betriebssystem ist unergründlich. Mit Abstand das komplizierteste Ding, das ich je gesehen habe – ich könnte nicht mal ’ne Vermutung darüber anstellen, wie viele Billionen Befehle in der Sekunde es verarbeitet. Mein Gott, neuester Stand der Technik ist überhaupt kein Ausdruck – von solchen Geschwindigkeiten hab ich noch nicht mal flüstern hören.« In seiner Stimme lag mehr als nur ein bißchen Bewunderung. »Aber wir können nicht fraglos davon ausgehen, daß es eine Falle ist. Von allem andern abgesehen ist es ein bißchen sehr offensichtlich, meint ihr nicht? Daß sie einfach das Sicherheitssystem abstellen, von dem wir meinen, wir müßten uns durchhäcken? Vielleicht hat es mit uns gar nichts zu tun – vielleicht führt das Betriebssystem irgendwo anders ein paar äußerst wichtige Operationen durch und hat dafür Betriebsmittel aus dem inneren Abwehrkreis abgezogen, weil es davon ausgeht, daß es die zurückführen kann, falls jemand durch den äußeren Kreis dringen sollte. Wenn wir es jetzt nicht wagen, entdecken wir später möglicherweise, daß wir dem größten geschenkten Gaul der Weltgeschichte nicht nur ins Maul geschaut, sondern auch noch die Zähne gezählt haben.«
    Renie überlegte. »Das könnte unsere Chance sein. Ich bin dafür, daß wir reingehen.«
    »Vielen Dank, Frau Tschaka.« Unter dem Sarkasmus war deutlich die Anerkennung zu spüren.
    »Mir macht das Sorgen, was du uns erzählst.« Aus Martines Stimme sprach nicht nur Sorge, sondern eine Niedergeschlagenheit, die Renie bei ihr noch nicht gehört hatte. »Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, darüber nachzudenken.«
    »Wenn das Betriebssystem Mittel umleitet, kann es sein, daß sie irgendeine große Veränderung planen«, erwiderte Singh. »Wie gesagt, irgendwas ist da im Busch – die Benutzerzahlen sind extrem hoch, und es scheint viele Umstellungen gegeben zu haben. Vielleicht haben sie sogar vor, das ganze Ding abzuschalten oder den Zugang von außen völlig abzuschneiden.«
    »Ich erzählte Renie, daß ich einen Traum hatte«, warf !Xabbu ein. »Vielleicht verstehst du das nicht, Herr Singh, aber ich habe gelernt, solchen Botschaften zu trauen.«
    »Du hattest einen Traum, der dir sagte, heute wäre der Tag, in das Netzwerk einzubrechen?«
    »Nein, natürlich nicht. Aber ich glaube, du hast recht damit, daß eine solche Gelegenheit

Weitere Kostenlose Bücher