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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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in der Gewalt des Greuels war, der an der nächtigen Grenze von Anderland auf sie gewartet hatte. »O Martine.« Sie drehte sich zu dem Vorarbeiter um, der die Wiedervereinigung mit ernster Selbstzufriedenheit beobachtete. »Wo habt ihr sie gefunden?«
    Tok erklärte, ein Arbeitertrupp habe sie beim Anzeichnen von Bäumen entdeckt, wie sie am Rand des Urwalds unweit des Lagers benommen herumgeirrt sei. »Die Männer sind abergläubisch«, sagte er. »Sie denken, die Götter hätten sie geschlagen«, wieder die reflexhafte Geste, »aber meiner Meinung nach war Hunger und Kälte und Furcht die Ursache, vielleicht sogar ein Schlag auf den Kopf.«
    Der Vorarbeiter begab sich wieder an seine Arbeit, nachdem er versprochen hatte, daß der nächste Holzkonvoi, der gegen Abend abfahren sollte, sie mit zurücknehmen würde. Überwältigt von den Ereignissen vergaß Renie zu fragen, wohin »zurück«. Sie und !Xabbu blieben den restlichen Nachmittag über am Bett sitzen, hielten Martines Hände und redeten ihr begütigend zu, wenn die Schrecken sie zu sehr zu bedrängen schienen.
     
     
    > Der Vorarbeiter half Renie, hinten auf den riesigen, funkelnden, dampfgetriebenen Lastwagen zu steigen. !Xabbu kraxelte allein hinauf und setzte sich neben sie auf die mit Ketten befestigten Stämme. Tok nahm ihr das Versprechen ab, daß sie und ihre »verrückten temilúnischen Freunde« nie wieder im wilden Gelände herumwandern würden. Sie versprach es und dankte ihm noch für seine Freundlichkeit, als der Konvoi schon zum Lager hinaus auf die breite schlammige Straße rollte. Renie hätte in einem der anderen Laster vorne im Führerhäuschen mitfahren können, aber sie wollte sich ungestört mit !Xabbu unterhalten. Außerdem war Martine auf dem Beifahrersitz dieses Lasters angeschnallt – der, wie Renie mit Interesse vermerkte, von einer breitgesichtigen, breitschulterigen Frau gefahren wurde –, und Renie wollte in der Nähe ihrer kranken Gefährtin bleiben.
    »… Na gut, es ist nicht Martines Stimme, weil sie deliriert und französisch spricht, vermute ich«, sagte sie, während sie aus dem Lager holperten. »Aber warum hast du deine Stimme und ich meine? Du hörst dich völlig nach dir an, obwohl du aussiehst, wie aus dem Zoo entlaufen.«
    !Xabbu , der aufrecht im Wind stand und schnupperte, antwortete nicht.
    »Wir müssen alle auf Singhs Index durchgerutscht sein«, sinnierte sie, »und auf diesem Index war unter Sprache ›Englisch‹ angegeben. Das erklärt natürlich nicht, wieso ich diesen Körper behalten habe, während du deinen Sim zweiter Wahl bekommen hast.« Sie betrachtete ihre kupferfarbenen Hände. Wie !Xabbu einen guten Körper für die Fortbewegung im Urwald erwischt hatte, so hatte sie sich einen ausgesucht, der dem normalen Erscheinungsbild der Einheimischen sehr nahe kam. Freilich, wenn sie in einem Wikingerdorf oder im Berlin des Zweiten Weltkriegs gelandet wären, hätte sie dort nicht ganz so gut hingepaßt.
    !Xabbu kam wieder herunter und hockte sich neben sie; sein hochstehender Schwanz war krumm wie ein gespannter Bogen. »Wir haben Martine gefunden, aber wir wissen immer noch nicht, wonach wir suchen«, sagte er. »Oder wohin wir unterwegs sind.«
    Renie schaute auf die vielen Meilen dichten grünen Dschungels, die im schwindenden Licht hinter ihnen lagen, und auf die vielen Meilen, die das Band der roten Straße noch zu durchqueren hatte. »Die Erinnerung war überflüssig.«
     
    Sie fuhren durch die Nacht. Die Temperatur war tropisch, aber Renie bekam bald zu spüren, daß man auf virtuellen Baumstämmen nicht besser lag als auf echten. Besonders ärgerlich war der Umstand, daß ihr wirklicher Körper in einem V-Tank voll regulierbarem Gel schwamm, mit dem sich eigentlich die weichesten Eiderdaunen simulieren ließen, wenn sie nur die Steuerung hätte bedienen können.
    Als die Sonne auf- und eine Nacht zu Ende ging, in der Renie sehr wenig Schlaf gefunden hatte, fuhren die Lastwagen in eine kleine Stadt ein. Sie war anscheinend der Sitz der Sägerei und des Weiterverarbeitungswerks und so etwas wie eine Dschungelmetropole; obwohl eben der Morgen graute, waren jede Menge Menschen auf den schlammigen Straßen.
    Eine Handvoll Autos, die Ähnlichkeit mit Landrovern hatten, rollten vorbei, als sie die breite Hauptdurchgangsstraße hinunterfuhren, manche offensichtlich mit Dampf, andere auf rätselhaftere Art angetrieben. Renie erblickte auch weitere der Apparaturen, die Satellitenschüsseln glichen und

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