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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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auf die andere Temilúnische Simfrau. »Ihren Namen kenne ich auch nicht. Wir sind alle zusammen hereingekommen.«
    »Vielleicht ist er Sellars«, meinte !Xabbu .
    »Nein, ist er nicht«, warf Martine geistesabwesend ein. Sie schaute mit immer noch ungerichteten Augen zu der hohen Decke hinauf. »Er nennt sich ›Sweet William‹. Er ist aus England.«
    Renie bemerkte nach einem Moment, daß sie den Mund aufhatte. Selbst bei einem Sim sah das nicht sehr ansprechend aus. Sie schloß ihn. »Woher weißt du das?«
    Bevor Martine antworten konnte, erklang das schurrende Geräusch von Stühlen auf Steinfliesen, und alle drehten sich um. Atasco hatte sich an das Kopfende des langen Tisches gesetzt, wo sich ihm eine kalte Temilúnische Schönheit in einem weißen Baumwollkleid zugesellt hatte, deren einziger Schmuck ein prachtvolles Halsband mit blauen Steinen war. Renie hatte sie nicht eintreten sehen; sie vermutete, daß es sich um Atascos Gattin handelte, das Zahlengenie.
    »Willkommen im Ratssaal von Temilún.« Atasco breitete segnend die Arme aus, während die übrigen Gäste sich setzten. »Ich weiß, daß ihr von überallher und mit ganz verschiedenen Absichten gekommen seid. Ich wünschte, ich hätte die Muße, mich mit jedem einzelnen von euch zu unterhalten, aber unsere Zeit ist knapp. Dennoch hoffe ich, daß ihr wenigstens kurz die Gelegenheit hattet, etwas von dieser Welt zu sehen. Sie hat dem interessierten Schaulustigen viel zu bieten.«
    »Heiliger Strohsack«, murmelte Renie, »hör auf zu quasseln!«
    Atasco machte eine kurze Pause, als ob er sie gehört hätte, aber sein Gesichtsausdruck war eher ratlos als verärgert. Er flüsterte seiner Frau etwas zu, und diese flüsterte zurück. »Ich weiß nicht so recht, was ich euch erzählen soll«, sagte er laut. »Derjenige, der euch herbestellt hat, müßte eigentlich mittlerweile hier sein.«
    Der glänzende Robotersim, der Renie vorher schon aufgefallen war, stand auf. Sein grotesk vielteiliger Panzer hatte überall scharfe Spitzen. »Trans duppiges Zeug«, sagte er in verächtlichem Goggleboytonfall. »Weckerfällig bis dorthinaus. Ich geh ex.« Er vollführte mit seinen chromblitzenden Fingern eine Reihe von Gesten und war dann offensichtlich entgeistert, als nichts geschah. Bevor noch jemand etwas sagen konnte, leuchtete ein gelbliches Licht hell neben den Atascos auf. Mehrere der Gäste stießen überraschte Schreie aus.
    Die Gestalt, die neben Bolívar Atasco stand, als das Leuchten sich gelegt hatte, war ein konturloser, humanoider weißer Fleck, der aussah, als ob jemand dort die Materie des Ratssaales weggerissen hätte.
    Renie war unter denen gewesen, die geschrien hatten, aber nicht wegen des abrupten Auftritts der Erscheinung. Ich hab das Wesen schon mal gesehen! Im Traum? Nein, in diesem Club – Mister J’s.
    Eine Erinnerung, die fast verschüttet gewesen war, kam zurück, die Erinnerung an ihre letzten, halb ohnmächtigen Momente in den Tiefen des gräßlichen Clubs. Dieses Wesen hatte … ihr geholfen? Es war alles sehr nebulös. Sie drehte sich Bestätigung heischend zu !Xabbu um, aber der Buschmann beobachtete den soeben Eingetroffenen mit gespannter Aufmerksamkeit. Die neben ihm sitzende Martine blickte vollkommen fassungslos drein, wie in einem finsteren Wald verirrt.
    Selbst Atasco wirkte bestürzt über die Art der Ankunft. »Ah. Du … du bist es, Sellars.«
    Der leere Fleck am höchsten Punkt des weißen Lochs schien sich im Saal umzuschauen. »So wenige«, erklang es traurig. Renie fühlte, wie sich ihr die Nackenhaare sträubten: Sie hatte diese hohen, beinahe weiblichen Töne in der Tat im Trophäengarten von Mister J’s gehört. »Wir sind so wenige«, fuhr die Stimme fort, »nur zwölf insgesamt, unsere Gastgeber eingerechnet. Aber ich bin dankbar, daß überhaupt welche hier sind. Ihr habt sicher viele Fragen …«
    »Allerdings«, unterbrach derjenige, den Martine Sweet William genannt hatte, lauthals. Er sprach mit einem grotesk übertriebenen, theatralischen nordenglischen Akzent. »Zum Beispiel, wer zum Fickfack du bist und was zum Fickfack hier eigentlich gespielt wird.«
    Das leere Gesicht verriet nichts, aber Renie meinte, eine leichte Amüsiertheit in der leisen Stimme zu hören. »Ich heiße Sellars, wie Herr Atasco schon sagte. Wie viele von euch bin ich zur Zeit auf der Flucht, aber dieser Name zumindest ist kein Geheimnis mehr, das ich hüten müßte. Was deine zweite Frage betrifft, junger Mann …«
    »Na, na, na!

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