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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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nichts weiter als Apparate gesteuert von elektrischen Impulsen. Dread wußte, daß es ein Kinderspiel wäre, heftig daran zu drehen, ihnen einen Stoß von solcher Stärke zu versetzen, daß das System sich abschaltete, aber wenn er sonst nichts gewollt hätte, hätte er diesem Esel Celestino seine Datenbombe lassen können. Er mußte durch seinen eigenen Schmerz hindurchgehen, um etwas weitaus Subtileres und Nützlicheres zu schaffen: Er mußte die Seele des Systems finden und sie zu seiner eigenen machen.
    Das System war komplex, aber seine logische Struktur war von anderen nicht verschieden. Er fand die gesuchte Gruppe elektronischer Tore und gab jedem einzelnen einen kleinen Schubs. Sie widerstanden ihm, aber selbst der Widerstand sagte ihm etwas. Er hatte jetzt alles außer dem Datenstrom ausgeblendet – sogar die sinnlosen Geräusche des Sicherheitsfunks und von der Nacht und den Wellen, die seinen physischen Körper umgaben, waren fort. Er drückte abermals gegen die Tore, jetzt immer nur gegen eines, wobei er sich alle Mühe gab, die Wirkung jeder Veränderung zu taxieren, bevor er sie vornahm. Er arbeitete minuziös, obwohl sein Kopf so heftig pochte, daß er am liebsten geschrien hätte. Das letzte, was er wollte, war, das System zum Absturz zu bringen.
    Endlich, in einer von blutroten Migräneblitzen durchschossenen Schwärze, fand er die richtige Sequenz. Als die metaphorische Tür weit aufschwang, wallte in seinem Innern ein dunkles Glücksgefühl auf, das beinahe stärker war als der Schmerz. Er hatte aus seinem eigenen Willen ein unbeschreibliches Etwas erschaffen, einen Dietrich zur Öffnung eines unsichtbaren, unfaßbaren Schlosses, und jetzt tat sich ihm das gesamte System der Isla del Santuario auf wie eine Zehn-Kredite-Hure und war bereit, seine Geheimnisse preiszugeben. Erschöpft quälte Dread sich in die andere Welt zurück – in die Welt außerhalb des Drehs.
    »Spur drei«, sagte er heiser. »Ich bin in der Hauptader drin. Anschließen und sortieren.«
    Celestino knurrte eine nervöse Bestätigung und begann, Ordnung in die Ströme der Rohdaten zu bringen. Dread schlug die Augen auf, beugte sich über die Reling und erbrach sich.
     
    Das Boot war nur noch einen halben Kilometer von der Insel entfernt, als er wieder zusammenhängend denken konnte. Er schloß die Augen – beim Anblick der Datenfenster vor dem Hintergrund der Wellen wurde ihm gleich wieder schlecht – und inspizierte die Ergebnisse seiner Infiltration, die nackten Abläufe von Santuarios Infrastruktur.
    Die diversen Scanner und Prüfpunkte der Sicherheitsmaschinerie lockten ihn einen Moment, aber nachdem er in den Planungsstadien der Aktion mit obsessiver Genauigkeit vorgegeben hatte, was wann abzuschalten war, bezweifelte er, daß selbst Celestino die Sache noch verpfuschen konnte. Er warf auch einen kurzen Blick auf die Standardprogramme, die die äußeren Bedingungen des Anwesens regelten, aber keines davon war im Augenblick wichtig. Nur eine Sache war ungewöhnlich, aber genau darauf hatte er es auch abgesehen. Irgend jemand – beziehungsweise zwei Jemande, nach den gepaarten Eingabestellen zu schließen – war mit einem LEOS verbunden, einem erdnah umlaufenden Kommunikationssatelliten, und eine Riesenmenge Daten floß dazwischen hin und her.
    Unser Objekt hält sich im Netz auf, wie es aussieht. Aber was zum Teufel macht er dort, daß er so viele Gigas bewegen muß?
    Dread überlegte einen Moment. Er hatte bereits alles, was er brauchte. Dennoch erschien es ihm nicht geraten, eine derart hochintensive Auslastung ungeprüft zu lassen. Und wenn diese emsige kleine Biene tatsächlich das Objekt war, konnte Dread vielleicht überdies einen Hinweis darauf erhalten, warum der Alte Mann den Tod des Luftgottes wollte. Ein bißchen Information war nie verkehrt.
    »Spur drei, hake mich in einen der hochaktiven Punkte dort ein – ich glaube, es ist das Labor des Objekts. Wenn es VR ist, was er empfängt, dann will ich keine volle Immersion, sondern nur ein Eigenperspektivfenster und Ton.«
    »Alles klar, Jefe.«
    Dread wartete eine ganze Weile, dann ging vor der Schwärze seiner geschlossenen Lider ein anderes Fenster auf. Darin erstreckte sich vor ihm ein Tisch mit vage indianisch aussehenden Gestalten zu beiden Seiten. Ungefähr auf halber Höhe saß ein Affe auf dem Tisch, und der Blick des Objekts huschte immer wieder dorthin. Dread empfand eine nahezu kindliche Freude. Er hockte unbemerkt auf der Schulter seines Opfers wie

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