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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Inselwachdienstes paßte es offensichtlich gar nicht, in diese Zwickmühle gebracht zu werden.
    »Ich kann den Helikopter sehen, Chef. Er hängt immer noch auf den Klippen, aber bei den Wellen wird er sich nicht lange halten können.«
    Der Kommandant studierte die ersten Bilder, die die ferngesteuerten Kameras sendeten, und als er sah, daß sein Beobachter recht hatte, fluchte er abermals. Dread glaubte genau zu wissen, was dem Mann durch den Kopf ging: Seit zwanzig Jahren waren Sicherheitskräfte auf dieser Insel, auch wenn sein Arbeitgeber den Auftrag erst vor kurzem bekommen hatte. Zwanzig Jahre, in denen nichts Gefährlicheres geschehen war, als daß ein paar einheimische Fischer versehentlich beinahe in die Sperrzone geraten wären. Er hatte soeben einer Maschine in Not die Landeerlaubnis verweigert – ganz legal, aber trotzdem. Konnte er diese Legalität auf die Spitze treiben und auch noch zulassen, daß etwaige Überlebende des Absturzes von den automatischen Abwehr-U-Booten getötet wurden? Und, was wahrscheinlich noch entscheidender war, konnte er das vor seinen Männern tun und dennoch im Fall einer echten Sicherheitskrise noch mit ihrem Respekt rechnen?
    »Schweinebande!« Er hatte es beinahe bis zu dem Punkt hinausgezögert, wo jedes Handeln zu spät kam. »U-Boote blind machen – das ganze U-Jagd-Netz abstellen! Yapé, ein Boot soll so schnell wie möglich los und nach Überlebenden suchen! Ich ruf den Boß an und sag ihm Bescheid.«
    Angebissen. Dread sprang auf. »Spur zwei, Einsatz.« Er winkte seiner Hälfte des Invasionskommandos, einem Dutzend Männer in Neoprenanzügen. Noch bevor er die Hand wieder unten hatte, liefen sie bereits mit dem Boot ins Wasser. Er spurtete hinter ihnen her. Seine eigene Arbeit hatte begonnen.
     
    Das Boot glitt still über die Bucht und vorsichtig zwischen den Minen hindurch. Ihre Such-und-Zerstör-Funktion war deaktiviert worden, aber deswegen konnte trotzdem eine bei zufälligem Kontakt explodieren. Dread saß hinten und war ausnahmsweise einmal damit einverstanden, daß jemand anders das Sagen hatte. Er hatte Wichtigeres zu tun, als ein Boot zu steuern.
    Wo ist er? Er schloß die Augen und stellte die Musik aus. Die Leitung zum Haken im Sicherheitssystem der Insel war immer noch offen; er hörte den Kommandanten mit dem Rettungsboot sprechen, das soeben von der anderen Seite der Insel aufbrach. Bis jetzt hatte noch niemand den Datenzapfer entdeckt, aber das würde in Kürze ohnehin gegenstandslos sein: Die Sicherheitskräfte würden den abgestürzten Hubschrauber in wenigen Minuten erreicht haben. Sofern er nicht sehr stark beschädigt war, würden sie rasch feststellen, daß er ferngesteuert gewesen war. Sie würden merken, daß man sie zum Narren gehalten hatte.
    Wo? Er ließ sich in seinen inneren Denkstrom zurückfallen, tastete nach dem prekären ersten Zugriff – nach dem bestimmten Puls, dem elektronischen Herzschlag, der ihm zeigen würde, wo er zupacken mußte.
     
    Er hatte seine besondere Fähigkeit, den Dreh, wie er es nannte, bei seiner ersten Pflegefamilie entdeckt. Eigentlich war der Dreh das zweite Wunder gewesen: Das erste war, das man ihn überhaupt in Pflege genommen hatte. Im Alter von sieben Jahren hatte er bereits drei Menschen getötet, alles Kinder ungefähr in seinem Alter. Nur einer der Morde war als solcher erkannt worden, allerdings hatte man ihn auf einen tragischen, aber nur momentanen Verlust der Selbstkontrolle zurückgeführt; an den anderen beiden Todesfällen hatte man dem Zufall die Schuld gegeben. Das war natürlich alles Unsinn. In beiden Fällen hatte Dread – der damals noch nicht diesen melodramatischen Namen führte – tagelang einen Hammer im Hosenbund getragen und auf eine Gelegenheit gewartet. Daß er die beiden Opfer nach dem Einschlagen der Köpfe noch einmal angegriffen und eine eiserne Treppe hinuntergestoßen hatte, war eine letzte Aufwallung von Wut gewesen und kein frühreifer Versuch, seine Tat zu verheimlichen.
    Auch ohne Mord auf seinem Konto wäre es dem Jugendamt von Queensland nicht leicht gefallen, das Kind unterzubringen. Allein schon seine Herkunft (seine Aboriginemutter eine Alkoholikerin und Prostituierte, sein Vater ein philippinischer Pirat, den man nicht lange nach der Transaktion, aus der Dread hervorgegangen war, gefangengenommen und ohne viel Federlesens hingerichtet hatte) war Grund genug, daß die Behörde in Frage kommenden Pflegeeltern inoffiziell einen höheren Satz bieten mußte –

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