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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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dann sei so gut und führe sie vor. Einzeln, versteht sich. Und da das, was ihr vorbringt, einer Anklage gegen mich gleichkommt, werdet ihr erlauben, daß ich das Verhör führe, nicht wahr?«
    »Selbstverständlich«, stimmte Ptah zu, doch diesmal war es sein falkenköpfiger Kumpan, dem dabei unwohl zu sein schien. Osiris bezog eine kleine Befriedigung aus diesem Anzeichen dafür, daß sie ihn in mancher Hinsicht immer noch fürchteten und vor seiner legendären Verschlagenheit auf der Hut waren. Er würde sein Bestes tun, um dieses Unbehagen zu rechtfertigen.
    Der Herr über Leben und Tod winkte, und der Tisch verschwand; die Neunheit saß nunmehr in einem Kreis, jedes Mitglied auf seinem thronartigen Stuhl. Einen Moment später sprangen in der Mitte des Kreises zwei Gestalten ins Bild, eine stämmig, die andere schlank, beide unbeweglich wie Statuen. Sie wirkten recht menschlich und damit unter den gespannten Tiergesichtern eigentümlich fehl am Platz. Wie es sich für Sterbliche im Land der Götter gehörte, waren sie nur halb so groß wie die kleinste Person der Neunheit.
    »Meine Mitarbeiter Shoemaker und Miller«, sagte Ptah. »Ihr findet alle persönlichen Einzelheiten in den Unterlagen.«
    Osiris beugte sich vor und streckte einen Mumienfinger aus. Der älter Aussehende der zwei, bärtig und kräftig gebaut, zuckte, als erwachte er aus dem Schlaf.
    »David Shoemaker«, psalmodierte der Gott, »deine einzige Hoffnung ist, alle Fragen mit vollkommener Ehrlichkeit zu beantworten. Ist das klar?« Die Augen des Mannes weiteten sich. Er war ohne Zweifel nach seiner letzten Vernehmung sofort in die Schwärze des Zwangsschlafs befördert worden. Ein solches Erwachen, dachte Osiris, mußte gelinde gesagt verwirrend sein. »Ich sagte: Ist das klar?«
    »Wo … wo bin ich?«
    Der Herr der beiden Länder bewegte die Hand. Der Mann wand sich vor Schmerzen, die Augen zusammengepreßt und die Zähne starrkrampfartig gebleckt. Nach diesem kurzen Schub künstlich herbeigeführter Qual beobachtete Osiris das konvulsivische Zusammenziehen der Muskeln des Mannes in dem Wissen, daß die anderen Mitglieder der Bruderschaft es ebenfalls beobachteten. Es schadete nicht, sie daran zu erinnern, was er vermochte. Er war hier ein Gott, mit Kräften begabt, die die anderen nicht besaßen, nicht einmal auf ihren eigenen Territorien. Es schadete nicht, sie daran zu erinnern.
    »Ich werde es noch einmal versuchen. Deine einzige Hoffnung ist, alle Fragen mit vollkommener Ehrlichkeit zu beantworten. Verstehst du mich?«
    Der bärtige Mann nickte. Sein Sim, generiert von der Holozelle, in der man ihn eingesperrt hatte, war vor Angst schon ganz weiß im Gesicht.
    »Gut. Versteh bitte auch, daß das, was ich mit dir machen kann, von normalen Schmerzen verschieden ist. Dein Körper wird davon keinen Schaden nehmen. Du wirst nicht daran sterben. Das heißt, ich kann dich der Folter so lange unterziehen, wie ich will.« Er hielt inne, um das einsinken zu lassen. »Jetzt wirst du uns alles über die Ereignisse erzählen, die zu deinem Eingriff in den normalen Ablauf des Gralssystems führten.«
    Im Laufe der nächsten Stunde veranstaltete Osiris mit Shoemaker eine minuziöse Untersuchung seiner und Glen Millers Arbeit als Systemtechniker im Otherland-Netzwerk. Zögernde Antworten, auch Denkpausen, in denen der Gefangene sich an irgendeine Einzelheit zu erinnern versuchte, hatten die sofortige Aktivierung des Schmerzreflexes zur Folge, den Osiris häufig wie eine Orchesternote hielt, je nach seiner Einschätzung, welche Dauer prompte und ehrliche Antworten fördern würde. Trotz der fortwährenden messerscharf schneidenden Qualen blieb Shoemaker bei der Geschichte, die er bereits dem TMX-Sicherheitsdienst erzählt hatte. Er habe einen ihm ordnungsgemäß erscheinenden Befehl erhalten, die Ortungselemente zu modifizieren, die Daten über den jeweiligen Aufenthalt der Versuchsperson innerhalb des Systems zurückmeldeten, aber habe nicht wissen können, daß die Veränderungen die Ortung irgendwann unmöglich machen würden. Der Befehl habe den Anschein erweckt, durch ordnungsgemäße Führungskanäle zu kommen – wobei jedoch die Überprüfung bei TMX hinterher ergeben hatte, daß die Zustimmungen von oben ziemlich offensichtliche Fälschungen waren –, und habe als entscheidendes Kriterium die nicht imitierbare Autorisierung durch den Vorsitzenden enthalten.
    Der Vorsitzende, der lebende Herr der beiden Länder, war nicht davon erbaut, abermals

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