Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
gewöhnlich so still hielt, daß er fast unsichtbar war, rutschte auf seinem Stuhl hin und her.
»Soll ich das so verstehen, daß ihr mich beschuldigt? Ich soll die Flucht dieser Versuchsperson eingefädelt haben? Und ihr erwartet, daß ich auf diesen gefährlichen Unsinn reagiere, für den es keine Indizien gibt als eure Aussagen?«
»Seien wir nicht voreilig«, bemerkte Ptah ölig. Osiris hatte den Eindruck, er bedauerte es bereits, Yacoubians Leine so locker gelassen zu haben. »Wir haben keinerlei formelle Beschuldigung gegen dich erhoben. Aber wir möchten der Bruderschaft die Ergebnisse unserer Ermittlungen einsehbar machen, und sie werfen in der Tat ein paar ernste Fragen auf.« Er machte eine Geste, und vor jedem der Anwesenden erschien ein kleiner leuchtender Punkt, der die vorgelegten Dateien anzeigte. »Ich glaube, die Beweislast liegt bei dir, Vorsitzender, wenigstens so weit, daß du erklären müßtest, wie dein Code mit Anweisungen in Verbindung kommen konnte, die keinen andern ersichtlichen Zweck haben als den, die Flucht der Versuchsperson zu erleichtern.«
Unter dem milden Dauerlächeln seiner Maske nutzte Osiris die lange Pause dazu aus, rasch die Berichte durchzugehen, die Wells soeben zugänglich gemacht hatte. Die Details waren unerfreulich.
»Es ist hierbei noch etwas anderes im Spiel als einfach Befürchtungen hinsichtlich dieser Versuchsperson«, sagte er schließlich. Es würde seine Chancen erheblich verbessern, wenn er der Sache einen persönlichen Beigeschmack geben konnte – die Amerikaner waren nicht furchtbar beliebt. »Gehe ich nicht recht in der Annahme, daß ihr meinen Führungsstil in gewisser Weise untauglich findet?« Er wandte sich an die ganze Runde. »Gewiß habt ihr alle die Unzufriedenheit unseres Kameraden mit meiner Leitung bemerkt. Der Demiurg Ptah war unter den Göttern Ägyptens der schlaueste, und unser Vertreter hier ist genauso schlau. Bestimmt muß er häufig das Gefühl haben, er könnte es besser machen, und wenn er mich nur abgesetzt bekäme, könnten er und der wackere Horus die Bruderschaft mit der nötigen Straffheit führen.« Er legte ein bitteres Grollen in seine Stimme. »Er ist natürlich ein Narr.«
»Bitte, Vorsitzender.« Wells klang amüsiert. »Das ist leere Rhetorik. Wir brauchen Antworten.«
»Ich habe es niemals so eilig wie du.« Osiris schlug seinen gelassensten Ton an. »Manchmal jedoch komme ich bei den gleichen Positionen an wie du, auch wenn ich mit meiner Gangart etwas länger brauche. Dies ist zum Beispiel so ein Fall.«
»Was soll das jetzt schon wieder heißen?« Jetzt war es an Ptah, konsterniert zu klingen.
»Schlicht dies: Wenn es stimmt, was ihr sagt, dann verdiene ich das Vertrauen der Bruderschaft nicht. Darin sind wir uns einig. Genauso wenig kann das Projekt ohne Solidarität unter uns vorangehen. Deshalb schlage ich vor, daß wir die Sache so eingehend untersuchen, wie wir nur können, was bedeutet, daß wir sämtliche Fakten unter die Lupe nehmen, und daß wir dann die Sache zur Abstimmung stellen. Heute. Wenn die Bruderschaft gegen mich votiert, werde ich auf der Stelle zurücktreten. Einverstanden?«
Horus nickte energisch. »Klingt okay.« Ptah stimmte ebenfalls zu, allerdings etwas langsamer, als witterte er eine Falle. Osiris konnte keine Falle stellen – er war von den Enthüllungen der letzten paar Minuten immer noch ziemlich perplex –, aber er hatte vor langer Zeit einmal beschlossen, daß es besser sei, mit den Zähnen im Hals des Feindes zu sterben, als den Schwanz einzuziehen. Bis jetzt war ihm das eine wie das andere erspart geblieben.
»Fangen wir an«, sagte er. »Dein Bericht macht zwar einen bewundernswert gründlichen Eindruck, aber ich bin sicher, die Bruderschaft würde gern die beiden Mitarbeiter persönlich hören.« Er erhielt nickende Zustimmung von seinen anderen Gästen, die er mit einer würdevollen Neigung seines maskierten Hauptes entgegennahm. »Du hast sie selbstverständlich in Gewahrsam genommen.«
»Selbstverständlich.« Ptah war wieder guter Dinge, ein schlechtes Zeichen. Osiris hatte halb gehofft, daß die vorangegangenen internen Vernehmungen bei TMX zu heftig gewesen waren. Es war schwierig, aufgrund der Aussagen toter Zeugen einen Schuldspruch zu fällen, selbst mit holographischen Aufzeichnungen – Daten ließen sich heutzutage so leicht manipulieren. Zwar war auch die Echtzeit-VR nicht gegen Manipulationen gefeit, aber der Vorgang war sehr viel komplizierter.
»Schön,
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