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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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außer Osiris niemand besonders.
    »Das ist sehr schlimm.« Sobeks Krokodilskopf schoß vor. »Sehr schlimm. Wie konnte das geschehen?«
    »Zugang zum System kann man nur auf zwei Wegen erhalten«, erläuterte Ptah. »Nämlich mit einer Befehlserlaubnis von mir oder dem Vorsitzenden.« Er deutete eine leicht ironische Verbeugung in Osiris’ Richtung an. »Selbst diejenigen meiner Mitarbeiter oder des Vorsitzenden, die täglich mit dem Projekt arbeiten, müssen die Erlaubnis einholen, bevor sie die Arbeit antreten, und jedesmal wieder, wenn sie sich nach einer Pause wieder einloggen wollen. Diese Erlaubnis hat die Form eines ständig wechselnden Codeschlüssels, der von hermetisch abgeschirmten Blackbox-Codegeneratoren erzeugt wird. Es gibt nur zwei. Einen habe ich. Den andern hat der Vorsitzende.«
    Sobek bewegte seinen langen Kopf auf und nieder. Als Herrscher über einen westafrikanischen Staat, dem er und seine Familie seit Jahrzehnten alles verfügbare Gold und Blut abpreßten, war ihm der Gedanke der Zentralisierung von Machtbefugnissen unmittelbar einleuchtend. »Komm zur Sache. Was hat das damit zu tun, daß jemand unser Projekt mißbraucht?«
    »Genau wie der Zugang zum System streng beschränkt ist, so bedarf auch jede Änderung am System der Codeautorisierung durch einen von uns beiden.« Ptah wählte seine Worte sorgfältig, damit auch solche wie Sobek mitkommen konnten, deren Platz in der Bruderschaft weniger auf persönlicher Eignung als auf finanziellen Mitteln beruhte. »Wenn das Entkommen der Versuchsperson kein dummer Zufall war, dann muß es gelenkt gewesen sein. Wenn es gelenkt war, dann bedurfte der Vorgang der Zustimmung. Das System duldet keinerlei äußere Modifikation, der die Zustimmung fehlt.«
    Osiris tappte noch immer im Dunkeln, aber er fühlte, daß Ptah auf etwas zusteuerte, was er anscheinend für einen tödlichen Schlag hielt. »Ich denke, das Wesentliche ist uns jetzt klar«, sagte er laut. »Vielleicht könntest du nach diesen allgemeinen Ausführungen nunmehr konkret werden. Was genau hast du entdeckt?«
    Horus stand auf, und seine goldenen Augen funkelten. »Anomalien, wir haben Anomalien entdeckt. Handlungen, ausgeführt von zwei verschiedenen TMX-Mitarbeitern in der Woche vor dem Entkommen der Versuchsperson, oder wie du den Kerl sonst nennen willst.« Der amerikanische General hatte das diplomatische Geschick einer Rinderstampede; Osiris kam zu dem Schluß, daß Wells sich seiner Sache ziemlich sicher sein mußte, wenn er zuließ, daß sich sein Kumpan an dem Angriff beteiligte, zumal wenn Wells’ eigene Angestellte irgendwie mitschuldig waren. »Wir sind zwar noch nicht exakt darüber im Bild, durch welche Mitwirkung der beiden die Versuchsperson von unserm Radar verschwinden und im System untertauchen konnte, aber wir sind uns verdammt sicher, daß sie dazu beigetragen haben. Es gibt keine Erklärung für ihre Handlungen, keine anderweitig festzustellenden Resultate, und es ist uns auch nicht ersichtlich, welchen Grund sie für diese Handlungen hatten. Nun ja, das stimmt nicht ganz. Tatsächlich gab es einen recht plausiblen Grund für sie, so zu handeln, wie sie es taten.«
    Der Herr über Leben und Tod gedachte nicht, einem Emporkömmling effektvolle dramatische Pausen zu gönnen. »Wir hängen alle gebannt an deinen Lippen, ganz bestimmt. Sprich weiter.«
    »Sie hatten beide codierte Anweisungen vom Vorsitzenden.« Horus wandte sich von der Runde am Tisch ab und faßte Osiris ins Auge. »Von dir.«
    Osiris blieb absolut unbewegt. Mit Aufbrausen waren weder die flüsternden Stimmen noch die Zweifel zum Schweigen zu bringen. »Was soll das heißen?«
    »Sag du uns das, Vorsitzender.« Das war Ptah, mit kaum verhohlener Befriedigung. »Sag du uns, wie eine Versuchsperson – eine Person, die du im System drinhaben wolltest, und zwar ohne daß du es für nötig hieltest, uns irgendwelche Gründe mitzuteilen – durch codierte Anweisungen, die nur du erzeugen kannst, freikommen und der Überwachung entfliehen konnte.«
    »Jawoll«, sagte Horus, der es nicht lassen konnte, noch einmal nachzutreten, »vielleicht klärst du uns freundlicherweise auf. Ein Haufen Leute haben einen Haufen Geld in dieses Projekt investiert. Sie möchten vielleicht erfahren, ob du beschlossen hast, es zu deinem persönlichen Spielplatz zu machen.«
    Osiris spürte den Schock in der Runde, die wachsende Wut und Unzufriedenheit, die sich zum Großteil gegen ihn richtete. Sogar Thot, der sich

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