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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Hügelgrabs war entmutigend und beruhigend zugleich. Am hinteren Ende der Kammer, in der er stand, führte ein anderes Loch – diesmal in Form einer Türöffnung mit merkwürdigen Winkeln – noch tiefer ins Dunkel hinab: der große Hügel war nur der Vorraum einer viel größeren Höhle. Aber Thargor hatte nichts anderes erwartet. In dem alten Buch des Zauberers, der ihn beauftragt hatte, wurde der Ort, wo Xalisa Thol sich eingemauert hatte, bevor sie sich zum Sterben niederlegte, als »ein Labyrinth« bezeichnet.
    Er nahm einen kleinen Beutel von seinem Gürtel und leerte den Inhalt in seine Hand. Leuchtsamen, jeder einzelne ein kleines Lichtkorn an diesem finsteren Ort, würden ihm den Weg markieren, damit er nicht ewig unter der Erde herumirren mußte. Thargor war der Tapfersten einer, aber wenn für ihn der Tag des Todes kam, sollte es unter offenem Himmel sein. Sein Vater, der sein Leben lang wie ein Sklave in den Eisenbergwerken von Borrikar gefront hatte, war bei einem Stolleneinsturz ums Leben gekommen. Es war eine gräßliche und unmännliche Art zu sterben.
    Während er sich durch das klamme weiße Wurzelwerk, das von der Decke hing, auf die Türöffnung am anderen Ende des Raumes zubewegte, sah er etwas Seltsames und Unerwartetes: Wenige Schritte zur Rechten des dunklen Durchgangs flackerte etwas wie ein schwaches Feuer, ohne allerdings Licht auf die Erdwände zu werfen. Vor Thargors Augen flammte es strahlend auf und wurde zu einem Loch in der Luft, durch das gelbes Licht strömte. Während er zornig schnaubend Raffzahn erhob, fragte er sich, ob er hier mit einem Zauber in eine Falle gelockt werden sollte, aber seine Klinge schimmerte nicht in seiner Faust wie sonst, wenn Zauberei im Spiel war, und die Gruft roch nach nichts anderem als nach feuchter Erde und schwach nach Mumienbalsam – beides nicht unerwartet in einem Bestattungshügel.
    Mit eisenhart angespannten Muskeln blieb er stehen und wartete darauf, daß ein Dämon oder Hexenmeister durch diese magische Tür kam. Als sich nichts zeigte, näherte er sich dem Leuchten und prüfte die Öffnung mit der Hand. Sie gab keine Wärme ab, nur Licht. Nachdem er sich zur Sicherheit abermals in dem Vorraum umgeschaut hatte – nicht durch Unvorsichtigkeit hatte Thargor so viele Abenteuer mit beinahe tödlichem Ausgang überlebt –, beugte er sich vor, bis er zu der hellen Pforte hineinschauen konnte.
    Thargor verschlug es vor Staunen den Atem.
    Zeit verstrich. Er rührte sich nicht. Er zeigte auch keinerlei Lebenszeichen, als Pithlit den Kopf durch das Eingangsloch steckte und ihn zunächst leise, dann aber mit zunehmender Lautstärke und Dringlichkeit anrief. Der Krieger schien zu Stein geworden zu sein, ein in Leder gehüllter Stalagmit.
    »Thargor!« Pithlit schrie mittlerweile, aber sein Gefährte reagierte nicht. »Die Musik spielt wieder. Thargor!« Auf einmal wurde der Dieb noch aufgeregter. »Da kommt irgendwas in den Raum! Der Hüter des Grabes! Thargor!«
    Schwankend, wie aus tiefem Schlaf geweckt, riß sich der Söldner von dem goldenen Licht los, und vor Pithlits entsetzten Augen wandte er sich dem vertrockneten Leichnam eines ehemals großen Kriegers zu, der durch die dunkle Tür am anderen Ende des Raumes getappt kam. Thargors Bewegungen waren langsam und träumerisch. Er hatte Raffzahn kaum erhoben, als die gepanzerte Mumie ihm schon mit ihrer verrosteten Streitaxt den Schädel bis zum obersten Halswirbel spaltete.
     
     
    > Thargor tastete in der grauen Leere herum. Pithlits erstaunte Schreie klangen ihm immer noch in den Ohren. Sein eigenes Erstaunen war nicht minder groß.
    Ich bin tot! Ich bin tot! Wie kann ich tot sein?
    Es war nicht zu glauben.
    Das war ein Untoter. Ein dämlicher, hundserbärmlicher Untoter. Von denen hab ich Tausende über die Klinge springen lassen. Wie konnte das passieren, daß so ein Nullo mich in die Pfanne haut?
    Einen Moment lang dachte er fieberhaft nach, überspült vom grauen Nichts, aber es gab keine Antwort, keine Möglichkeit, etwas zu tun. Der Schaden war zu groß. Er klinkte sich aus und war wieder Orlando Gardiner.
     
     
    > Orlando zog seine Buchse heraus und setzte sich auf. Er war von der Wendung der Ereignisse dermaßen verblüfft, daß seine Hände noch lange in der leeren Luft herumfuchtelten, bevor er stieren Blicks die Kissen ertastete, die seinen Kopf polsterten, sie geistesabwesend zurechtklopfte und dann das Bett so rekonfigurierte, daß er aufrecht sitzen konnte. Kalter Schweiß stand

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