Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten
sagen. Kapuzenmantel. Vielen Dank, Herr. Verzeiht die Störung.«
Thargor blickte mißmutig hinter dem davonwatschelnden Wirt her, der für einen Mann seines Umfangs eine beachtliche Behendigkeit an den Tag legte. Wer konnte draußen sein? Der Zauberer Dreyra Jarh? Es hieß, er sei anonym in diesem Teil von Mittland unterwegs, und er hatte mit Thargor gewiß noch das eine oder andere Hühnchen zu rupfen – allein die Sache mit dem Onyxschiff hätte ausgereicht, um sich seine ewige Feindschaft zuzuziehen, und das war lediglich ihr jüngster Zusammenstoß gewesen. Oder konnte es der Geisterreiter Ceithlynn sein, der verbannte Elfenprinz? Obwohl er kein geschworener Feind Thargors war, hätte der bleiche Elf nach dem, was auf ihrer Fahrt durch das Mithandor-Tal geschehen war, sicherlich gern die eine oder andere Rechnung beglichen. Wer sonst konnte an diesem abwegigen Ort nach dem Krieger fahnden? Ein paar hiesige Wegelagerer, die ihm ans Leder wollten? Er hatte diesen Strolchen gestern an der Kreuzung eine furchtbare Tracht Prügel verpaßt, aber er bezweifelte, daß sie jetzt schon zum nächsten Durchgang mit ihm bereit waren, und sei es aus dem Hinterhalt.
Ihm blieb nichts übrig, als nachsehen zu gehen. Als er mit knarrender Lederhose aufstand, studierten die Gäste im Basiliskenschwanz eifrig den Inhalt ihrer Krüge, nur zwei der tapfereren Kneipenflittchen beobachteten mit mehr als nur ein bißchen Bewunderung, wie er vorbeiging. Er zog an Raffzahns Knauf, um sicherzugehen, daß das Schwert locker in der Scheide steckte, und schritt dann zur Tür.
Der Mond hing voll und dick über dem Stallhof und bestrich die geduckten Dächer mit buttergelbem Licht. Thargor ließ die Tür hinter sich zufallen und blieb ein wenig schwankend stehen, so als wäre er betrunken, doch seine Falkenaugen schweiften mit der Schärfe umher, die er sich in tausend Nächten wie dieser angeeignet hatte, Nächten voll Mondschein und Zauber und Blut.
Eine Gestalt löste sich aus dem Schatten eines Baumes und trat vor. Thargors Finger faßten den Schwertgriff fester, während er lauschte, ob ihm ein leises Geräusch die Position anderer Angreifer verriet.
»Thargor?« Die vermummte Gestalt blieb wenige Schritte vor ihm stehen. »Menschenskind, bist du betrunken?«
Die Augen des Söldners verengten sich. »Pithlit? Was führst du im Schilde? Du solltest mich doch schon vor einer Stunde treffen, und zwar da drinnen.«
»Es ist… etwas geschehen. Ich wurde aufgehalten. Und als ich hier ankam, konnte ich … konnte ich nicht reingehen, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen …« Pithlit schwankte seinerseits, und nicht aus gespielter Trunkenheit. Thargor überwand den Abstand zwischen ihnen mit zwei schnellen Schritten und fing den kleineren Mann auf, kurz bevor er zusammenbrach. Verdeckt von dem lockeren Umhang hatte sich ein dunkler Fleck vorne über Pithlits Gewand ausgebreitet.
»Alle Götter, was ist dir zugestoßen?«
Pithlit lächelte schwach. »Ein paar Banditen an der Kreuzung – hiesige Strauchdiebe, nehme ich an. Zwei von ihnen habe ich getötet, aber das waren vier zu wenig.«
Thargor fluchte. »Ich hatte gestern mit ihnen zu tun. Da waren sie noch zu zwölft. Es wundert mich, daß sie schon so bald wieder zu Werke gehen.«
»Tja, jeder verdient sich seine Imperiale auf seine Weise.« Pithlit krümmte sich zusammen. »Der letzte Schlag hat mich erwischt, als ich gerade zur Flucht ansetzte. Ich glaube nicht, daß es tödlich ist, aber bei den Göttern, es tut höllisch weh!«
»Dann komm. Wir sehen zu, daß du die Wunde versorgt bekommst. Wir haben in dieser Vollmondnacht noch was vor, und ich brauche dich an meiner Seite – aber danach werden wir ein wenig zaubern, du und ich.«
Pithlit schnitt eine Grimasse, als Thargor ihn wieder auf die Beine stellte. »Zaubern?«
»Ja. Wir werden zu dieser Kreuzung zurückreiten und vier in nichts verwandeln.«
Wie sich herausstellte, war Pithlits Wunde lang und blutig, aber flach. Als sie verbunden war und der kleine Mann zum Ausgleich für den Blutverlust mehrere Becher gespriteten Wein geleert hatte, gab er an, er sei aufbruchsbereit. Da die harte körperliche Arbeit des geplanten nächtlichen Unternehmens bei Thargor liegen sollte, nahm der Söldner den Dieb beim Wort. Während der Mond noch am Himmel aufstieg, ließen sie das Wirthaus »Zum Basiliskenschwanz« und seine bäurischen Gäste hinter sich.
Das Silnor-Tal war eine lange, enge Schlucht, die sich durch das
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