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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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verrückt kann man werden, wenn man dem hier nachgrübelt.« Pithlit starrte die hohen Steine an und erschauerte. »Wer Gräber entweiht, mit dem kann es ein böses Ende nehmen, Thargor. Und wer das Grab einer berüchtigten Zauberin entweiht, muß völlig den Verstand verloren haben.«
    Thargor zog Raffzahn aus der Scheide. Die Runen schimmerten silberblau im kühlen Licht des Mondes. »Xalisa Thol hätte zu ihren Lebzeiten Gefallen an dir gefunden, kleiner Dieb. Wie ich höre, hatte sie einen ganzen Stall voll kleiner und gutgebauter Burschen wie dich. Warum sollte sie ihre Vorlieben ändern, bloß weil sie tot ist?«
    »Mach keine Witze! ›Mit Xalisa Thol verlobt‹ war eine stehende Redewendung für ein schlechtes Geschäft – ein paar Tage irrsinnigen Glückstaumels gefolgt von Jahren schrecklicher Qualen.« Die Augen des Diebes wurden schmal. »Jedenfalls werde nicht ich es sein, den sie trifft. Wenn du es dir anders überlegt hast, von mir aus, aber ich werde nicht an deiner Stelle hineingehen.«
    Thargor feixte. »Ich habe es mir nicht anders überlegt. Ich habe mir nur einen Scherz mit dir erlaubt – ich fand dich ziemlich blaß, aber vielleicht liegt das am Mondlicht. Hast du die Schriftrolle des Nantheor mitgebracht?«
    »Allerdings.« Pithlit kramte in seiner Satteltasche und holte das Gewünschte hervor, eine dicke Rolle aus getrockneter Haut. Thargor meinte, erraten zu können, woher die Haut stammte. »Ich wäre dabei fast zwischen den gräßlichen Hauern eines Werkeilers geendet«, fügte Pithlit hinzu. »Denk dran, du hast versprochen, daß sie nicht beschädigt wird. Ich habe einen Käufer dafür.«
    »Ich verbürge mich für die Sicherheit – der Rolle.« Als Thargor sie in die Hand nahm, verursachte ihm die Art, wie die Schrift sich an seiner Haut zu winden schien, einen leichten, aber unmerklichen Ekel. »Folge mir jetzt. Wir werden dafür sorgen, daß du der Gefahr nicht zu nahe kommst.«
    »Der Gefahr nicht zu nahe hieße, raus aus diesen Bergen«, klagte Pithlit, aber trottete hinter ihm her.
    Die Dunstschwaden umschlossen sie wie eine Schar aufdringlicher Bettler, angelten mit kalten Schlingen nach ihren Beinen. Der große Steinkreis ragte vor ihnen auf und warf breite Schatten auf den mondhellen Nebel.
    »Ist denn irgendein magischer Gegenstand ein solches Wagnis wert?« erkundigte sich Pithlit leise. »Was kann die Maske von Xalisa Thol dir wert sein, der du gar kein Zauberer bist?«
    »Genau so viel, wie sie dem Zauberer wert ist, der mich gedingt hat, sie zu stehlen«, erwiderte Thargor. »Fünfzig Diamanten, jeder einen Imperial schwer.«
    »Fünfzig! Bei den Göttern!«
    »Ja. Und jetzt sei still.«
    Noch während Thargor sprach, schwebte wieder die seltsame Musik auf dem Wind herbei, ein unheimliches, dissonantes Schrillen. Pithlit traten fast die Augen aus dem Kopf, aber er hielt den Mund. Die beiden schritten zwischen dem nächsten Paar stehender Steine hindurch, ohne sich um die darin eingemeißelten Symbole zu kümmern, und blieben am Fuße des großen Grabhügels stehen.
    Mit einem kurzen Blick in die Augen des Diebes bekräftigte der Krieger den Befehl zu schweigen, dann bückte er sich und betätigte Raffzahn, als ob das Schwert bloß ein gewöhnliches Grabegerät wäre. Bald hatte Thargor ein großes Stück Rasen weggehackt. Als er begann, die dahinter liegende Steinmauer abzutragen, drang ein Hauch von Verwesung und fremdartigen Gewürzen durch die Lücke. Oben auf der Kuppe wieherten die Pferde ängstlich.
    Sobald er ein Loch gemacht hatte, das groß genug für seine breiten Schultern war, winkte Thargor seinem Gefährten, ihm die Schriftrolle des Nantheor zu reichen. Während er sie entrollte und die Worte flüsterte, die der Zauberer ihn gelehrt hatte, Worte, die er sich eingeprägt hatte, aber deren Bedeutung er nicht kannte, wurden die aufgemalten Symbole leuchtend rot; im gleichen Moment ging in den Tiefen des Hügelgrabs ein trübes zinnoberrotes Licht an. Als es erstarb und die glühenden Runen ebenfalls erloschen waren, drehte Thargor die Rolle wieder ein und gab sie Pithlit zurück. Er holte seine Feuersteine hervor und zündete die Fackel an, die er mitgebracht hatte – im hellen Mondschein war die Fackel nicht nötig gewesen –, dann ließ er sich durch das Loch nach unten, das er in Xalisa Thols Grab gebrochen hatte. Sein letzter Blick zurück fiel auf die vom Mondlicht umrissene Silhouette des nervösen Diebes.
    Sein erster Blick in das Innere des

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