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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ihm auf der Stirn. Sein Nacken tat weh, weil er zu lange in einer Position gelegen hatte. Auch sein Kopf tat weh, und das grelle Mittagslicht, das durch sein Schlafzimmerfenster fiel, machte es auch nicht besser. Er krächzte einen Befehl, der das Fenster in eine nackte Wand zurückverwandelte. Er mußte nachdenken.
    Thargor ist tot. Es war so schockierend, daß er kaum einen anderen Gedanken fassen konnte, obwohl er über vieles nachzudenken hatte. Mit der obsessiven Arbeit von vier langen Jahren hatte er Thargor gemacht, ja hatte er sich selbst zu Thargor gemacht. Er hatte alle Gefahren überlebt und dabei eine Geschicklichkeit entwickelt, um die ihn Spieler überall im Netz beneideten. Er war die berühmteste Gestalt in dem Spiel »Mittland«, wurde für jeden Kampf angeworben, war erste Wahl für jede wichtige Aufgabe. Jetzt war Thargor tot, weil eine lächerliche Schmeißfliege der primitivsten Sorte – ein Untoter, Herrgott nochmal! – ihm den Schädel zertrümmert hatte. Die verdammten Dinger, billig und allgegenwärtig wie Bonbonpapier, machten jedes Verlies und jede Gruft in der Simwelt unsicher.
    Orlando griff sich eine neben dem Bett stehende Plastikflasche und trank. Ihm war fiebrig zumute. Sein Kopf pochte, als ob die Axt das Grabhüters ihn tatsächlich erwischt hätte. Alles war mit derart bestürzender Plötzlichkeit erfolgt.
    Das schimmernde Loch dort, dieses leuchtende goldene Irgendwie-Irgendwas – das war etwas viel Größeres, viel Absonderlicheres gewesen als alles andere in dem Abenteuerspiel. In jedem Abenteuerspiel. Entweder einer seiner Rivalen hatte die ultimative Falle gestellt oder etwas war geschehen, das sein Fassungsvermögen überstieg.
    Was er gesehen hatte, war … eine Stadt, eine leuchtende, majestätische Stadt in der Farbe sonnenbeschienenen Bernsteins. Es war keine der pseudomittelalterlichen Festungsstädte gewesen, die über die ganze Simwelt, das Spielterritorium namens Mittland, verteilt waren. Der Anblick war fremdartig, aber unbedingt modern gewesen, eine Metropolis mit kunstvoll verzierten Gebäuden, die so hoch waren wie die höchsten in Hongkong oder Tokyokohama.
    Aber es war mehr als nur eine Science-Fiction-Vision: Die Stadt hatte etwas Reales gehabt, realer als alles, was er jemals im Netz gesehen hatte. Im Vergleich zu den sorgfältig komponierten Fraktalen der Spielwelt hatte sie eine Pracht und Überlegenheit ausgestrahlt wie ein Edelstein auf einem Misthaufen. Morpher, Dieter Cabo, Duke Slowleft – wie hätte irgendeiner von Orlandos Rivalen so etwas in Mittland einschmuggeln können? Alle Zauberpunkte der Welt erlaubten es einem nicht, die Grundlagen eines Simlandes dermaßen zu verändern. Die Stadt hatte ganz einfach einer höheren Realitätsebene angehört als das Spiel, das er gespielt hatte, ja einer höheren Ebene, hatte es fast den Eindruck gemacht, als das RL selbst.
    Sagenhaft, diese Stadt. Sie mußte real sein – oder wenigstens etwas anderes als ein Netzprodukt. Orlando hatte fast sein ganzes Leben im Netz verbracht, kannte es so, wie ein Mississippilotse des neunzehnten Jahrhunderts den großen Fluß gekannt hatte. Dies hier war etwas Neues, eine Erfahrung vollkommen anderer Art. Irgendwer … irgendwas … versuchte mit ihm zu kommunizieren.
    Kein Wunder, daß der Untote ihn hatte überrumpeln können. Pithlit mußte gedacht haben, sein Gefährte sei verrückt geworden. Orlando runzelte die Stirn. Er mußte Fredericks anrufen und es ihm erklären, aber er war noch nicht ganz so weit, die Sache mit Fredericks durchzukauen. Es gab noch zu viel zu bedenken. Thargor, Orlando Gardiners Alter ego, sein höheres Ich, war tot. Und das war nur eines seiner Probleme.
    Was sollte ein vierzehnjähriger Junge tun, nachdem er von den Göttern berührt worden war?

Kapitel
Ein Weltbrand
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Protestgedenkfeier in Stuttgart
    (Bild: ein Zug Kerzen tragender Menschen)
    Off-Stimme: Tausende versammelten sich in Stuttgart zu einer Nachtwache bei Kerzenlicht, um der dreiundzwanzig Obdachlosen zu gedenken, die bei den jüngsten Hausbesetzerunruhen von der deutschen Bundespolizei getötet worden waren.
    (Bild: junger Mann in Tränen, der Kopf blutbeschmiert)
    Zeuge: »Sie hatten Panzeruniformen. Mit großen Spitzen überall. Sie gingen einfach auf uns los …«
     
     
    > Einen flachen Bildschirm zu benutzen, machte Renie rasend. Als wollte man Wasser für die große Wäsche über einer offenen Flamme zum Kochen bringen. Nur in einem elenden

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