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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Paul jetzt hindurch sehen konnte. Finch hatte keine Augen.
    »Nein!« Paul taumelte einen Schritt zurück und erhob die Hände. »Laßt mich!«
    Die beiden Gestalten vor ihm verwackelten und verzerrten sich: Finch wurde noch dünner und spinnenhafter, Mullett schwoll an, bis ihm der Kopf zwischen den Schultern verschwand.
    »Du gehörst uns!« schrie Finch. Er sah nicht im geringsten mehr wie ein Mensch aus.
    Paul Jonas hielt die Feder fest, drehte sich um und sprang in das Licht.

Kapitel
Der gerissene Faden
    NETFEED/NACHRICHTEN:
    Fischsterben im Pazifik befürchtet
    (Bild: schottische Fischer im Hafen beim Ausleeren der Netze)
    Off-Stimme: Die parasitischen Dinoflagellaten, die Ursache des riesigen Fischsterbens im Nordatlantik, dem vor einem Jahrzehnt Hunderte Millionen von Fischen zum Opfer fielen, sind in mutierter Form in einigen Laichgründen im Pazifik wieder aufgetaucht.
    (Bild: tote Fische mit großen Geschwüren auf der Haut)
    UN-Stellen befürchten, diese Abart des Organismus könnte resistent gegen den künstlich erzeugten Virus sein, mit dem die Schreckensherrschaft der Panzergeißler das letzte Mal gebrochen wurde …
     
     
    > Regungslos lag Stephen tief drinnen in dem schmierigen Plastikzelt wie eine in Bernstein eingeschlossene Fliege. Er hatte Schläuche in der Nase, im Mund, in den Armen. Er sah aus, fand Renie, als ob er langsam ein Teil der Klinik würde. Ein weiterer Apparat. Ein weiteres Teil. Sie ballte die Fäuste, um den Anfall von Verzweiflung zu unterdrücken.
    !Xabbu steckte seine Hände in die Handschuhe in der Zeltwand, dann blickte er Erlaubnis heischend zu ihr auf. Alles, was sie zustande brachte, war ein kurzes Nicken. Sie traute sich nicht, etwas zu sagen.
    »Er ist sehr weit weg«, flüsterte der kleine Mann. Sein hellhäutiges Buschmanngesicht hinter einer Plastikscheibe war ein merkwürdiger Anblick. Eine jähe Angst um ihn durchfuhr Renie, ein plötzlicher Stich, der sogar durch das Unglück drang, das sie empfand, wenn sie den unveränderten Zustand ihres Bruders sah. VR, Quarantäne – jede neue Erfahrung, die sie !Xabbu verschaffte, schien ihm eine andere Form des Berührungsverbots vorzuführen. Ob ihn das alles nicht krank machte? Ob nicht sein Geist schon schwach wurde?
    Sie schob den Gedanken weit von sich. !Xabbu war der normalste, bodenständigste Mensch, den sie kannte. Sie sorgte sich, weil ihr Bruder und ihr Freund ungefähr gleich groß waren, und beide waren hinter Schichten von Plastik abgeschottet. Es war ihre eigene Hilflosigkeit, die an ihr zehrte. Sie trat vor und berührte !Xabbus Schulter mit ihrer Handschuhhand. Da er Stephen berührte, berührte sie damit in gewisser Weise auch ihren Bruder.
    !Xabbus Finger fuhren die Linien von Stephens schlafendem Gesicht mit derart sorgfältigen und präzisen Bewegungen nach, daß der Eindruck von Tun und nicht bloß von Fühlen entstand, und gingen dann weiter zum Hals und zum Brustbein. »Er ist sehr weit weg«, sagte er noch einmal. »Wie in einer starken Medizintrance.«
    »Was ist das?«
    !Xabbu gab keine Antwort. Seine Hände blieben auf Stephens Brust liegen, so wie ihre auf den Schultern des kleinen Mannes liegenblieben. Eine ganze Weile waren alle Teile der kleinen Menschenkette still, dann fühlte Renie eine leichte Bewegung: In der sackartigen Hülle des Ensuits hatte !Xabbu angefangen, hin und her zu schwanken. Leise Töne, vergleichbar dem sonoren Brummen und Klicken von Insekten im hohen Gras, erklangen und mischten sich mit den mechanischen Geräuschen der Lebenserhaltungsgeräte. Nach ein paar Sekunden begriff sie, daß !Xabbu sang.
     
    Der kleine Mann schwieg, als sie das Krankenhaus verließen. An der Bushaltestelle blieb er stehen, als Renie sich hinsetzte, und starrte die vorbeifahrenden Autos an, als suchte er im Rhythmus des Verkehrsflusses die Antwort auf eine schwierige Frage.
    »Eine Medizintrance ist nicht leicht zu erklären«, sagte er. »Ich bin auf städtische Schulen gegangen. Ich kann dir sagen, wie sie es dort nennen – einen selbst herbeigeführten hypnotischen Zustand. Oder ich kann dir sagen, was mir als Kind im Okawangobecken beigebracht wurde – daß sich der Medizinmann an einen Ort begeben hat, wo er mit den Geistern, ja mit den Göttern reden kann.« Er schloß die Augen und schwieg eine Zeitlang, als wollte er sich seinerseits auf einen Trancezustand vorbereiten. Zuletzt schlug er die Augen wieder auf und lächelte.
    »Je besser ich die Wissenschaft kennenlerne, um so

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