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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Wände waren weiß. Wer brauchte Bilder, wenn er seine eigenen machen konnte?

Kapitel
Verrückte Schatten
    NETFEED/UNTERHALTUNG:
    Höchste Einschaltquote im Mai für Concrete Sun
    (Bild: mehrere Explosionen, ein Mann im weißen Kittel läuft davon)
    Off-Stimme: Die letzte Folge der Serie Concrete Sun war im Monat Mai die meistgesehene Unterhaltssendung im Netz -
    (Bild: Mann im weißen Kittel küßt einbeinige Frau)
    - mit der sechzehn Prozent der Haushalte auf der ganzen Welt mitfieberten.
    (Bild: Mann im weißen Kittel trägt verbundenen Hund durch unterirdischen Kanal)
    Die Geschichte von einem Arzt auf der Flucht, der in der Squatterstadt BridgeNTunnel untertaucht, ist die am häufigsten eingeschaltete Serie der letzten vier Jahre …
     
     
    > Renie riß den Kopf herum, und das Testbild – eine endlose Dominoreihe von Gittern in kontrastierenden Farben – wackelte. Sie schnitt eine Grimasse. Mit dem Antippen einer der Noppen an der Seite ihres Headsets erhöhte sie den Druck in der Luftpolsterung. Sie schüttelte den Kopf hin und her; diesmal blieb das Bild ruhig.
    Sie hob beide Hände hoch und krümmte den rechten Zeigefinger. Die vorderste Figur, ein einfaches leuchtend gelbes Gitter, blieb am Platz; alle anderen Gitter rückten etwas weiter auseinander, eine Welle in unabsehbare Fernen, eine Einerreihe in die Unendlichkeit. Sie krümmte den Finger stärker, und der Abstand zwischen den einzelnen Gittern schrumpfte. Sie bog den Finger nach rechts, und die ganze Kette rotierte, jedes Glied einen Sekundenbruchteil nach dem davor, so daß eine Neonspirale entstand und wieder verschwand, als die Gitter in die Ruhelage zurückkehrten.
    »Jetzt bist du dran«, sagte sie zu !Xabbu .
    Überlegt vollführte er mit den Händen eine komplexe Serie von Bewegungen, von denen jede dem Sensor, den er wie ein drittes Auge vorne an seiner Visette hatte, verschiedene Abstände und Stellungen mitteilte. Die bunten Gitter in ihrer endlosen Folge reagierten darauf, indem sie kreisten, zusammenrückten und die Beziehungen untereinander änderten wie ein explodierendes Universum viereckiger Sterne. Renie nickte beifällig, obwohl !Xabbu sie nicht sehen konnte – das Testbild und die alles umgebende Schwärze waren die einzigen visuellen Eindrücke.
    »Gut«, sagte sie. »Prüfen wir jetzt dein Gedächtnis. Nimm so viele dieser Gitter, wie du willst – nicht das vorderste –, und mach daraus ein Polyeder.«
    !Xabbu zog die Glieder seiner Wahl vorsichtig aus der Kette heraus. Während die übrigen in die Leerräume nachrückten, dehnte er diejenigen, die er sich ausgesucht hatte, und faltete sie längs der Diagonalen, um daraufhin die Dreieckspaare rasch zu einer Facettenkugel zusammenzusetzen.
    »Du wirst richtig gut.« Sie war zufrieden. Dabei war das nur zu einem geringen Teil ihr Verdienst – sie hatte noch nie jemanden unterrichtet, der so hart arbeitete wie !Xabbu , und er besaß eine phantastische natürliche Begabung. Nur ganz wenige Menschen konnten sich so rasch und so vollkommen an die unnatürlichen Regeln des Netzraumes gewöhnen wie er.
    »Dann kann ich jetzt damit Schluß machen, Renie?« fragte er. »Bitte. Wir machen schon den ganzen Vormittag Vorbereitungen.«
    Eine schnelle Handbewegung brachte das Testbild zum Verschwinden. Gleich darauf standen sie sich als zwei unansehnliche Sims in einem sich in alle Richtungen erstreckenden grauen Ozean gegenüber. Sie verkniff sich eine bissige Antwort. Er hatte recht. Sie hatte die Sache mit ihren Vorbereitungen hinausgezögert, die sie immer wieder durchgespielt hatte, als ob dies eine Art Kampfeinsatz werden sollte und nicht ein einfacher Informationstrip in den Inneren Distrikt.
    Sicher, streng genommen gab es für Außenseiter wie sie so etwas wie einen einfachen Trip in den Inneren Distrikt gar nicht. Sie konnten jederzeit auf Barrieren treffen, die für sie aller guten Vorbereitung zum Trotz unüberwindlich waren, aber sie wollte nicht wegen eines dummen, vermeidbaren Fehlers enttarnt und hinausgeworfen werden. Und wenn sich in Toytown wirklich etwas Illegales und Gefährliches abspielte, dann würde die Entdeckung ihrer Nachforschungen die Schuldigen warnen und vielleicht sogar dazu führen, daß sie Beweismaterial vernichteten, das Stephen andernfalls retten konnte.
    »Ich habe es nicht böse gemeint, Renie.« !Xabbus Sim erhob seine einfachen Hände zu einer Friedensgeste; seine Mundwinkel zogen sich zu einem ziemlich mechanisch aussehenden Lächeln hoch.

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