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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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»Aber ich glaube, daß es auch dir lieber sein wird, wenn wir etwas unternehmen.«
    »Du hast wahrscheinlich recht. Abschalten und Ende.«
    Alles verschwand. Sie klappte die Visette an ihrem Helm hoch, und das profane, leicht schäbige Ambiente des Gurtraums der TH umgab sie wieder. Der Buschmann schob ebenfalls sein Sichtteil hoch und blinzelte grinsend.
    Reflexhaft ging sie ein letztes Mal ihre innere Checklist durch. Während !Xabbu seine Prüfungen absolviert hatte – und zwar den Gerüchten zufolge mit der erwarteten Bravour –, hatte sie nicht nur Tarnidentitäten für ihrer beider Eintritt in den Inneren Distrikt gebastelt, sondern auch mehrere Backups. Wenn die Sache schiefging, konnten sie ihre ersten Identitäten abstoßen wie alte Haut. Aber es war nicht einfach gewesen. Online eine falsche Identität anzunehmen, war nicht viel anders als im RL und in vieler Hinsicht der gleiche Vorgang.
    Renie hatte in den letzten paar Tagen einen gut Teil ihrer Zeit damit verbracht, abseitige Bereiche des Netzes zu durchstöbern. In den Teilen der Lambda Mall, die dunklen Gassen im RL entsprachen, lungerten jede Menge zwielichtige Gestalten herum, für die die Konfigurierung falscher Identitäten ganz alltäglich war, aber zuletzt hatte sie sich doch dafür entschieden, es selbst zu machen. Wenn ihre Nachforschungen im Inneren Distrikt auf etwas Wichtiges stießen, würden die davon Betroffenen als erstes den Piraten auf dem Identitätenmarkt auf den Zahn fühlen, und von denen würde kein einziger vertrauliche Informationen für sich behalten, wenn sein Broterwerb und vielleicht sogar seine Gesundheit auf dem Spiel stand.
    Also hatte sie begonnen, aufgeputscht mit Koffein und Zucker und eine angeblich nicht krebserregende Zigarette nach der anderen paffend, ein wenig »Akisu« zu treiben, wie die Veteranen es nannten. Sie hatte sich durch Hunderte von obskuren Infobanken gehäckt, sich nach Bedarf dies und das herauskopiert und falsche Gegenprobendaten in die Systeme eingegeben, deren Schutzvorrichtungen veraltet oder schwach genug waren. Sie hatte für sie beide eine einigermaßen solide falsche Identität geschaffen und, so hoffte sie, sogar eine gewisse Rückversicherung, falls das Unternehmen völlig danebenging.
    Sie hatte dabei auch das eine oder andere über Mister J’s erfahren, und das war einer der Gründe, weshalb sie !Xabbu den ganzen Vormittag gedrillt hatte. Der Club im Inneren Distrikt hatte einen sehr zweifelhaften Ruf, und seinen Betrieb zu stören, konnte recht unangenehme Nachwirkungen im richtigen Leben haben. Trotz ihrer anfänglichen Ungeduld war sie froh, daß !Xabbu sie überredet hatte, auf ihn zu warten. Im Grunde wäre sogar eine weitere Woche zur Vorbereitung nicht verkehrt gewesen…
    Sie atmete tief ein. Genug. Wenn sie nicht aufpaßte, konnte es ihr passieren, daß sie zu einer von diesen Zwänglern wurde, die fünfmal umkehrten, um sich zu vergewissern, daß die Tür auch wirklich abgeschlossen war.
    »Okay«, sagte sie. »Auf geht’s.«
    Sie machten ein paar Abschlußtests ihrer Gurtzeuge, die beide an Flaschenzügen von der Decke hingen und sowohl ihren Benutzern Bewegungsfreiheit in der VR gewährten als auch verhinderten, daß sie gegen wirkliche Wände liefen oder sich durch einen Sturz verletzten. Als die Flaschenzüge sie in die Höhe befördert hatten, baumelten sie nebeneinander inmitten des gepolsterten Raumes wie zwei Marionetten, wenn der Puppenspieler seinen freien Tag hat.
    »Tu, was ich sage, ohne Fragen zu stellen. Wir können uns keine Fehler leisten – das Leben meines Bruders kann davon abhängen. Antworten gebe ich dir hinterher.« Renie vergewisserte sich ein letztes Mal, daß sich keiner der Drähte durch scheuernde Gurte lockern konnte, und klappte dann ihre Visette herunter; das Bild schaltete sich ein, und das graue Flimmern des wartenden Netzes umgab sie. »Und denk dran, auch wenn das interne Band vom Inneren Distrikt und nicht vom Club selbst gestellt wird, gehen wir lieber davon aus, daß irgendwer mithört, sobald wir drin sind.«
    »Ich verstehe, Renie.« Er klang vergnügt, was angesichts der Tatsache, daß sie ihm den Abhörvortrag an dem Morgen schon zweimal gehalten hatte, recht erstaunlich war.
    Sie schwenkte beide Hände, und es ging los.
     
     
    > Die am Gateway zum Inneren Distrikt wartende Menge war ein lauter Farben- und Formentumult. Als der Lärm der vielsprachigen Einlaßverhandlungen schmerzhaft in Renies Ohren gellte, bemerkte sie, daß

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