Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Es war ein Lachen wert. Zuviel, zuviel.
War so das Gefühl, das der Alte Mann hatte? War dies das Gefühl der Macht, in dem der Alte Mann die ganze Zeit schwelgte? Daß die Welt ihm gehörte und er damit nach Belieben umspringen konnte? Daß Leute wie Dread nur winzige Lichtpünktchen waren, unbedeutender als Glühwürmchen?
Selbst wenn, machte Dread das nichts aus. Er war in seine eigene silberne Selbstzufriedenheit eingesponnen und brauchte den Alten Mann weder zu beneiden noch zu fürchten. Alles würde sich verändern, und zwar sehr bald schon.
Nein, er mußte jetzt andere Dinge bedenken, andere Träume träumen. Er ließ sich von dem pulsierenden Ton abermals aus sich hinausversetzen. Der Dreh brannte warm in ihm bei seiner Rückkehr an den kühlen, silbernen Ort, den Ort, von dem aus er weit vorausschauen und die ganzen Kleinigkeiten ins Auge fassen konnte, die er auf seinem Weg zu erledigen hatte.
Dread lag auf dem Bürofußboden und lauschte seiner Denkmusik.
Es dauerte aufreizend lange, bis sie den Anruf annahm. Er hatte sich bereits kurz in die Simleitung eingeschaltet und wußte, daß die Anderlandfahrer noch schliefen. Was machte sie bloß, duschte sie etwa schon wieder? Kein Wunder, daß sie so ein Geschiß um ihre Katze machte – sie war praktisch selber eine mit ihrer ständigen Putzerei. Er sollte dem Weibsbild mal ein bißchen Disziplin beibringen … vielleicht auf die kreative Art.
Nein, ermahnte er sich. Denk an den silbernen Ort. Er stellte ein wenig Musik an – nicht die Denkmusik (er hatte seine Wochenration schon gehabt, und in diesen Dingen war er sehr streng mit sich), sondern ein schwaches Echo, ein leises Töneplätschern, wie wenn Wasser in ein Becken rieselt. Er wollte nicht, daß der Ärger ihm alles verdarb. Das hier war die Sache, auf die er sein Leben lang gewartet hatte.
Obwohl der Anruf seine Signatur trug, meldete sich ihre Stimme ohne Bild. »Hallo?«
Der silberne Ort, sagte er sich. Der Riesenfilm. »Ich bin’s, Dulcy. Was ist, kommst du schon wieder frisch aus dem Bad?«
Dulcy Anwins sommersprossiges Gesicht erschien. Sie hatte tatsächlich einen Frotteebademantel an, aber ihre roten Haare waren trocken. »Ich hab einfach beim letzten Anruf das Bild abgeschaltet und vergessen, es wieder anzustellen.«
»Na, egal. Wir haben ein Problem mit unserm Projekt.«
»Du meinst, weil sie schon wieder getrennt wurden?« Sie verdrehte die Augen. »Wenn das so weitergeht, sind wir bald der letzte Sim, der noch übrig ist. Ohne die beiden Kriegerknaben sind es nur noch vier – fünf mit unserm.«
»Das ist nicht das Problem, obwohl ich auch darüber nicht sonderlich glücklich bin.« Dread sah einen Schatten, der sich hinter ihr in der Küchentür bewegte. »Ist da noch jemand bei dir?«
Sie schaute sich verdutzt um. »Ach, um Gottes willen. Es ist Jones. Meine Katze. Glaubst du im Ernst, ich würde dieses Gespräch mit dir führen, wenn jemand anders hier wäre?«
»Nein, natürlich nicht.« Er stellte die Plätschermusik ein bißchen lauter, um sich eine ruhige, besänftigende Atmosphäre zu schaffen, aus der heraus er ein Lächeln zustande bringen konnte. »Tut mir leid, Dulcy. Ein Haufen Arbeit an diesem Ende.«
»Zuviel Arbeit, möchte ich wetten. Du mußt monatelang an der Planung des … des gerade abgeschlossenen Projekts gearbeitet haben. Wann hast du dir zum letztenmal freigenommen?«
Als ob er irgendein armer, geschundener mittlerer Manager wäre. Dread mußte innerlich grinsen. »Das muß eine ganze Weile her sein, aber das ist es nicht, worüber ich reden möchte. Wir haben ein Problem. Es ist nicht nur unmöglich, jemand Drittes zur Führung des Sims hinzuzuziehen, wir können sogar nicht mal mehr zwei Leute einsetzen.«
Sie runzelte die Stirn. »Wieso das denn?«
»Ich habe den Eindruck, du hast nicht richtig aufgepaßt.« Er bemühte sich, es beiläufig klingen zu lassen, aber er war nicht erbaut darüber, sie auf etwas so Offensichtliches hinweisen zu müssen, vor allem nicht im Lichte des Anliegens, das er an sie hatte. »Diese Martine – die blinde Frau. Wenn sie die Wahrheit sagt, und ich sehe keinen Grund, daran zu zweifeln, dann stellt sie eine echte Gefahr für uns dar.«
Als ob sie begriffen hätte, daß sie beim Dösen ertappt worden war, setzte Dulcy jetzt abrupt ihr professionelles Gesicht auf. »Red weiter.«
»Sie verarbeitet Informationen in einer Art und Weise, die wir nicht verstehen. Sie sagt, sie kann Dinge im virtuellen
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