Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Environment spüren, die du und ich – und die andern Flüchtlinge aus der Luftgottwelt – nicht wahrnehmen können. Falls sie noch nicht gemerkt hat, daß unser Sim von zwei verschiedenen Personen benutzt wird, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie die Schwierigkeiten mit dem weißen Rauschen, die sie hat, in den Griff bekommt und uns durchschaut.«
»Ach so.« Dulcy nickte, drehte sich um und ging zur Couch. Sie setzte sich, führte eine Tasse an die Lippen und trank einen Schluck, bevor sie weiterredete. »Daran hab ich aber doch gedacht.«
»Tatsächlich?«
»Ja, ich dachte mir, das Schlechteste, was wir überhaupt machen können, wäre, plötzlich die unterschwelligen Signale zu ändern, die wir aussenden.« Sie nahm einen weiteren Schluck und rührte dann den restlichen Tasseninhalt mit einem Löffel um. »Sie hat möglicherweise schon eine Signatur für uns entwickelt und akzeptiert sie schlicht und einfach als besonderes Kennzeichen unseres Sims. Aber wenn wir wechseln, würde ihr die Veränderung auffallen. Jedenfalls war das meine Überlegung.«
Dreads frühere Bewunderung für Dulcinea Anwin kehrte zu einem gut Teil zurück. Totaler Quatsch, aber für etwas, das sie sich eben schnell mal aus dem Ärmel geschüttelt hatte, ziemlich gut. Er konnte nicht umhin, sich zu fragen, ob sie so ruhig und selbstzufrieden dort sitzen würde, wenn sie ihn je in seiner wahren Gestalt zu Gesicht bekäme, sein wahres Ich erlebte, nachdem alle Masken gefallen waren … Er riß sich von den ablenkenden Phantasien los. »Hmmm. Ich verstehe. Irgendwo leuchtet es auch ein, aber ich bin mir nicht sicher, ob es mich ganz überzeugt.«
Er sah, wie sie beschloß, den guten Eindruck möglichst zu festigen, den ihre schnelle Reaktion gemacht hatte. »Du bist der Boß. Was meinst du, was wir tun sollten? Was für Möglichkeiten gibt es denn?«
»Egal, was wir machen, wir sollten uns rasch entscheiden. Und falls wir nicht die Dinge einfach so weiterlaufen lassen wie bisher, bleibt uns nur die Wahl, daß einer von uns den Sim ganz übernimmt.«
»Ganz?« Sie verlor beinahe ihre hart errungene Fassung. »Das ist…«
»… kein sehr verlockender Gedanke, ich weiß. Aber es kann sein, daß wir es tun müssen – das heißt, daß du es tun mußt, da ich so verdammt viel am Hals habe. Aber ich will erst nochmal drüber nachdenken, was du gesagt hast, und ruf dich später wieder an. Heute abend, zweiundzwanzig Uhr deiner Zeit, okay? Der Sim müßte dann schlafen, andernfalls sorgen wir dafür, daß er sich von der Gruppe absetzt, um zu pinkeln oder so.«
Ihre schlecht verhohlene Verstimmung amüsierte ihn. »Geht klar. Zweiundzwanzig Uhr.«
»Danke, Dulcy. Ach, eine Frage noch. Kennst du viele alte Lieder?«
»Was? Alte Lieder?«
»Reine Neugier. Ich hab was gehört, das so geht…« Er hatte plötzlich keine Lust, es ihr vorzusingen – es würde so aussehen, als wollte er sich ein Stück weit mit einer gemein machen, die schließlich seine Untergebene war. Er sagte es statt dessen auf: ›»Ein Engel hat mich angerührt, ein Engel hat mich angerührt …‹ Und das ständig wiederholt.«
Dulcy starrte ihn an, als hätte sie den Verdacht, er wolle sie mit einem besonders hintersinnigen Trick an der Nase herumführen. »Nie gehört. Was interessiert dich daran?«
Er schenkte ihr sein umwerfendstes Lächeln – das Lächeln, das zu sagen schien: Ich wäre überglücklich, dich nach Hause bringen zu dürfen, meine Schöne. »Ach, nichts besonderes. Es hörte sich irgendwie bekannt an, aber ich krieg’s nicht zu fassen. Also dann, bis zweiundzwanzig Uhr.« Er schaltete sich aus.
> »Code Delphi. Hier anfangen.
Es war nur der Fluß. Merkwürdig, daß selbst so scharfe Ohren wie meine, zudem noch verstärkt von der besten Tonübertragungsanlage, die sich für meine Entschädigung damals kaufen ließ, und jetzt mit Daten von der bestimmt besten Tonerzeugungsanlage gefüttert, die sich mit dem Geld der Gralsbruderschaft kaufen läßt – daß selbst solche Ohren vom Geräusch fließenden Wassers getäuscht werden können.
Ich habe über dieses neue Journal nachgedacht, und mir ist klargeworden, daß ich es sehr pessimistisch begonnen habe. Ich hoffe zwar, daß diese Diktate sich eines Tages wieder auffinden lassen, aber wenn ich so lange von meiner persönlichen Geschichte erzähle, scheine ich im stillen anzunehmen, daß jemand anders als ich diese Gedanken hören wird. Das mag pragmatisch sein, aber es ist nicht der
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