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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die Gewitterstimmung des inzwischen nahezu unsichtbaren Himmels in dem höhlenartigen Werk künstlich verdoppelt wurde – im Donner der tief gurgelnden Rohre, im Wasser, das aus lecken Dichtungen und defekten Muffen herunternieselte, selbst in den blauweißen Lichtbögen, die wie Blitze an den Stellen zuckten, wo die Isolierung von den Kabelbündeln abgegangen war.
    Sich in diese gespenstischen Höhlen voll schmutziger Plastikkabel und rostzerfressener Metallteile zu begeben, hatte eine beklemmende Ähnlichkeit damit, verschlungen zu werden. Überhaupt, sinnierte Renie müde, waren ihre ganzen Erlebnisse im Netzwerk so gewesen. Die Probleme, die sie zu lösen gedachten, die tragischen Schicksale wie das von Stephen, die sie rächen wollten, waren einst so klar und eindeutig erschienen, aber dann waren sie und die anderen immer tiefer in die Spiele und Manien der Erbauer von Anderland hineingezogen worden, bis sie kaum mehr sagen konnten, was wirklich war, von wichtig ganz zu schweigen.
    Der Wald aus vertikalen Zylindern und der künstliche Himmel aus horizontalen Rohrsystemen boten immerhin viele Versteckmöglichkeiten, und das war ein Glück: Wie sie schon bald nach dem Betreten des Werks erfuhren, waren sie keineswegs die einzigen dort.
    Sobald sie ihren Weg unter dem Röhrengewirr fortsetzten, sahen sie überraschend wenige Tiktaks – die großen, plumpen mechanischen Männer waren vielleicht nicht besonders geeignet dafür, sich durch die manchmal recht beengten Räume hindurchzumanövrieren –, aber sie stellten fest, daß das Werk viele andere Uhrwerkwesen beherbergte, die ebenfalls mehr oder weniger menschenähnlich, aber viel kleiner und klappriger waren. Viele davon schienen wie altertümliche Spielzeuge nur eine billige Blechhülse über Zahnrädern und Federn zu sein, bestehend aus zwei Längshälften, die von Metallschlaufen zusammengehalten wurden. Die grellen Farben, mit denen ihre Gesichtszüge und Uniformen aufgemalt waren, ließen sie noch seelenloser erscheinen als die Tiktaks.
    Hinter einer breiten Säule aus mehreren verschlungenen, senkrechten Rohren versteckt, beobachtete Renie, wie eine der primitiven Spielzeugfiguren an ihnen vorbeitapste – die flachen Augen unbewegt, der Mund ein ausdrucksloser Strich –, und sie erschauerte unwillkürlich. Es waren weniger die Dinger selbst, die sie verstörten, sondern vor allem der Gedanke, was für eine Person der Blechmann sein mußte, wenn er sich solche leeren, nichtigen Untertanen, ob virtuell oder nicht, zulegte.
    Es gab auch ein paar Menschen, Henrys und Emilys, alle kahlgeschoren und in ölfleckige Lumpen gehüllt; Renie vermutete, daß sie hier zum Dienst gepreßte ehemalige Arbeitssklaven der Vogelscheuche waren. Die meisten schleppten schwere Lasten, und einige waren so unmenschlich beladen, daß Renie nicht verstand, wie sie überhaupt noch gehen konnten, doch selbst die Unbeladenen blickten immer nur stur nach unten. Sie stapften durch schmutzige Wasserpfützen und wankten um Hindernisse herum, ohne aufzublicken, als ob sie ihre Strecken schon so oft zurückgelegt hätten, daß sie ihre Augen im Grunde nicht mehr brauchten.
    »Wohin sollen wir gehen?« fragte Renie flüsternd, so daß es über dem Tropfen des Wassers auf dem Asphalt kaum zu hören war. Sie standen tief im Schatten einer Gruppe von Betonsäulen, jede so breit wie ein sehr großer, sehr alter Baum. Die aderreichen Katakomben des Werks boten auf allen Seiten den gleichen monotonen Anblick. »Wir müssen den Fluß finden.«
    Azador runzelte die Stirn. »Er ist in … der Richtung.« Er streckte den Finger aus, aber er klang nicht sehr sicher.
    !Xabbu stand auf den Hinterbeinen, und sein hundeartiger Kopf ging schnüffelnd auf und nieder. »Ich kann es mit meiner Nase nicht feststellen«, gestand er. »Es ist überall zu sehr das gleiche – Stadtgerüche der übelsten Art. Aber aus dieser Richtung kommt mir der Wind ein wenig kühler vor.« Sein dünner haariger Arm deutete in eine Richtung rechtwinklig zu der, die Azador angegeben hatte.
    Renie blickte Azadors zu Schlitzen verengte Augen an und begriff, daß sie eine Führungskrise hatten. Sie vertraute !Xabbus Instinkt und Schulung, aber der Zigeuner, wenn er denn wirklich einer war, konnte sie jeden Augenblick stehenlassen und in seiner Verärgerung einfach beschließen, allein weiterzuziehen. Konnten sie es sich leisten, ihn gehen zu lassen und sich nicht darum zu kümmern, was er ihnen womöglich verraten konnte? Wenn

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