Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
infernalisch.
Jetzt kamen ihnen an jeder Ecke Gesichter entgegen, entgeistert glotzende Menschenmasken, die leeren, abblätternden Grimassen der Blechkreaturen, sogar die dunklen Umrisse einiger Tiktaks. Nicht mehr lange, und die Fluchtwege waren durch den Auflauf metallener und fleischlicher Leiber einer nach dem anderen abgeschnitten.
Emily rutschte in einer öligen Pfütze aus, stolperte abermals und riß diesmal im Fallen Renie mit zu Boden. Als sie sich aufrappelten, hüpfte !Xabbu aufgeregt vor ihnen herum und drehte seine Schnauze hierhin und dorthin.
»Ich rieche nichts, aber ich denke, der Fluß ist dort.« !Xabbu deutete mit vorgerecktem Kinn auf einen der schmalen Gänge. Er holte tief Atem und schloß trotz des Chaos ringsherum einen Moment lang die Augen. Er bewegte die Finger in der Luft, als wollte er etwas fassen, dann machte er die Augen wieder auf. »Er ist dort«, sagte er. »Ich fühle, daß es so ist.«
Die enge, schlüpfrige Strecke füllte sich rasch mit Blechfiguren, die wie Schlafwandler auf sie zutrotteten. »Sie versperren uns den Weg zum Wasser«, sagte Renie mit sinkendem Mut.
Azador blickte erst sie, dann !Xabbu an und spuckte auf den Boden. »Folgt mir«, knurrte er. Er sprang vor und warf sich der ersten Welle von Metalldingern entgegen. Die Wucht seines Anpralls stieß sie um wie Kegel und schmetterte eines auf den Boden, wo es in zwei Hälften und einen Haufen Zahnräder zerplatzte. Renie zog Emily vorwärts und versuchte dabei, das Mädchen hinter Azadors breitem Rücken zu halten.
Das schrille Gejaule aus Dutzenden von mechanischen Kehlen war jetzt lauter als ein Düsentriebwerk. Renie fühlte grobe, harte Hände nach ihr schnappen und schlug und stieß in blinder Wut um sich. Einen Augenblick lang ging Emily neben ihr nieder, doch Renie kämpfte sich durch das wilde Getümmel, fand den schlanken Arm des Mädchens und zerrte es auf die Beine. Jetzt drosch sogar Emily in ihrer Panik mit den flachen Händen auf die Blechkreaturen ein, den Mund zu einem Schrei verzerrt, den Renie nicht hören konnte.
Benommen und völlig am Ende, mit blutigen Fäusten und Armen taumelte Renie vorwärts. Das nächste flache, lackierte Gesicht tauchte vor ihr auf und gab gellend Alarm. Sie trat dem Ding in den runden Mittelteil und warf es um. Dahinter war nichts mehr als Azador und Dunkelheit.
Er wandte ihnen sein mittlerweile blutüberströmtes Gesicht zu und winkte mit einer bebenden roten Hand. Der Korridor vor ihnen war leer bis auf eine im Dunkeln entschwindende Zeile trübe flackernder Lampen. Sie waren durchgebrochen.
»Gott im Himmel«, keuchte Renie. »Bist… bist… du …?« Sie hörte ein Klappern in ihrem Rücken und drehte sich um. Die Blechdinger, die nicht völlig ausgeschaltet worden waren, strampelten wie auf dem Rücken liegende Käfer, um auf die Beine zu kommen und die Verfolgung fortzusetzen. Renie krampfte sich der Magen zusammen. »Wo ist !Xabbu ?«
»Schnell!«
Renie wirbelte herum und sah die vermißte Paviangestalt, die wie ein guter Geist aus dem Gang vor ihnen aufgetaucht war. »Wir sind fast am Fluß!« rief !Xabbu .
Sie humpelten hinter ihm her. Kurz darauf weiteten sich die erdrückend engen Gänge, und die Leitungssäulen führten plötzlich viele Meter höher nach oben. Breit und schwarz lag der Fluß vor ihnen. Der Verladekai war leer, wohl weil die sonst dort arbeitenden Blech- und Menschenwesen ein Teil des Mobs gewesen waren, durch den sie sich soeben gekämpft hatten. Sie hörte die Überlebenden hinter ihnen, die immer noch verfolgungswütig heulten und sich auch in ihrem lädierten Zustand weiter hinter ihnen herschleiften.
»Ist das Gateway hier irgendwo?« fragte sie nach Atem ringend.
»Red keinen Quatsch«, versetzte Azador unwirsch. »Bevor wir das gefunden haben, sind wir tot.«
»Dann brauchen wir ein Boot.«
Zwei große Containerschiffe lagen vor Anker, eines mit halb ausgeladenen Frachtnetzen, in denen noch Kisten mit Menschennahrung und Maschinenschmiermittel baumelten. Renie und die anderen rannten den Kai entlang auf der Suche nach einem Schiff von angemessenerer Größe und fanden es in Gestalt eines kleinen Schleppers, kaum mehr als ein schwimmender Untersatz mit Gummifendern. Sie polterten an Bord. Renie entdeckte eine Bootsstange und hakte damit das Tau los, Azador schaffte es, den Motor anzulassen, und schon tuckerten sie langsam auf den dunklen Fluß hinaus.
Hinter ihnen hatte eine Meute heulender Menschen und Automaten den
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