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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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längst vergessen hatte. Einer der anderen Passagiere im Flugzeug aus Sidney hatte ihre joviale Unterhaltung mitgehört, und als die Geschichte von ihrem Verschwinden durch die Netze gegangen war, hatte der Passagier sich bemüßigt gefühlt, die Sache zu melden. Dread war kühl wie Andenschnee gewesen, als die Polizei an die Tür seines Hotelzimmers klopfte, aber obwohl die Leiche der Flugbegleiterin schon lange spurlos beseitigt war, hatte ihm die Überraschung gar nicht behagt.
    Die Polizei zeigte sich von ihrem Gespräch mit dem Mann namens »Deeds« befriedigt und fand weder an seiner Geschichte noch an seinen Personalien etwas verdächtig. (Dreads Tarnidentitäten und Papiere waren das Beste, was man für das Geld des Alten Mannes kaufen konnte, mit anderen Worten, das Beste überhaupt – sein falscher Paß war tatsächlich ein echter Paß, wenn auch ausgestellt auf eine erfundene Person mit Dreads Gesicht und Netzhautmuster.)
    Auch wenn es somit keine Folgen gehabt hatte, war es dennoch eine unangenehme Überraschung gewesen. Die Möglichkeit einer Verhaftung bereitete ihm keine besonderen Kopfschmerzen – selbst wenn die Beinha-Schwestern nicht die richtigen Fäden vor Ort ziehen konnten, waren die Kontaktpersonen des Alten Mannes im australischen Außenministerium mächtig genug, um dafür sorgen zu können, daß man ihn unter allen Umständen auf freien Fuß und in eine Diplomatenmaschine setzte, und sei es noch mit der Mordwaffe in der blutigen Faust. Aber ein Hilfeersuchen ganz gleich welcher Art hätte zu Fragen geführt, die er auf gar keinen Fall beantworten wollte.
    Die Polizei von Cartagena setzte ihre Ermittlungen mittlerweile auf einer anderen Spur fort, aber es war für Dread eindeutig keine gute Zeit, seinen Jagddurst zu löschen, ganz gleich, wie stark der ihn quälte. Jedenfalls nicht im RL.
    Er hatte längst die besten Angebote ausprobiert, die es in der VR für seine spezielle Obsession gab – MurderWorld, Der Schlagtot geht um, Schwarze Minna von den gängigen Attraktionen, ferner einige Simulationen, die selbst schon illegal waren, frei kursierende Lustmordknoten, an die angeblich echte Personen gegen ihren Willen angeschlossen waren. Doch auch wenn einige der Opfer echt waren, wie die Gerüchte nachdrücklich behaupteten, war der Output selbst lasch und unbefriedigend. Die Erregung beim Jagen kam für Dread zum großen Teil davon, alles unmittelbar fühlen zu können – das Pumpen des Blutes, das Jagen des Adrenalins, die gesteigerte Wahrnehmung der Wirklichkeit, die ihm den Stoff eines Ärmels wie die Radarkarte eines neuen Planeten erscheinen ließ, das hallende, endlose Röcheln eines Atemzuges, das Flackern der Verzweiflung im Blick der Beute, hell wie ein Neonlicht in der Nacht, wenn sie auf einmal erkannte, wie sich die Falle schloß. Das Netz konnte nur ganz dünne, dürftige Imitationen bieten.
    Aber das Gralsprojekt…
    Die Idee hatte in seinem Hinterkopf vom ersten Augenblick an gearbeitet, gleich als ihm klargeworden war, daß es innerhalb des Netzwerks Hunderte, vielleicht Tausende von Ländern gab, die genauso perfekt gemacht waren wie das Ägypten des Alten Mannes und viel weniger reglementiert. Sie war bald darauf in seine bewußten Gedanken eingedrungen, und das Spielchen mit Dulcy Anwin vor kurzem - Dread war gerne bereit zuzugeben, daß er es genossen hatte, der eingebildeten Schnepfe einen Dämpfer aufzusetzen – hatte sie so richtig zum Glühen gebracht.
    Das Spannende war, daß diese Anderlandkreaturen sich nicht nur so verhielten, als ob sie lebendig wären, sondern es auch allen Ernstes selber zu glauben schienen. Das machte die ganze Idee noch verlockender. Er verstand jetzt, wie seine wilden Vorfahren sich gefühlt haben mußten, als sie mit ihren Kanus den Ozean überquert hatten und zum erstenmal australischen Boden betraten. Ein ganzer Kontinent, der noch nie einen menschlichen Jäger gesehen hatte! Tiere, die noch nicht gelernt hatten, den Menschen zu fürchten, vor seinen Steinen und Keulen und Speeren zu fliehen. Und jetzt hatte Dread eine ganze Welt gefunden, in der es genauso war – nein, ein ganzes Universum.
    Selbstsicher, großspurig, faul, tot, erinnerte ihn eine leise Stimme. Es wäre ein Fehler, in irgendeinen Größenwahn zu verfallen – zumal er eines Tages die Schlüssel des Ganzen in der Hand halten konnte, wenn er nur die richtigen Züge machte. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg – es war kein Leichtes, schlauer zu sein oder

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