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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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erhobener Hand zu schweigen.
    »Du bist heute abend nicht bei der Sache. Sag mir, was los ist, Junge.«
    »Er … er kennt mich.« Gally deutete auf Paul. »Aber ich kann mich nicht an ihn erinnern. Na ja, nicht so richtig. Und er redet von Orten, an die ich mich auch nicht erinnere.«
    Sie richtete ihren klugen, festen Blick auf Paul. »Aha. Wer seid Ihr? Wieso meint Ihr ihn zu kennen?«
    »Ich kenne ihn von woanders her. Nicht aus Venedig. Aber mit seinem Gedächtnis stimmt etwas nicht.« Ihre Augen machten ihn ein wenig beklommen. »Ich will ihm nichts Böses. Wir waren einst Freunde.«
    »Mohrchen«, sagte sie, ohne den Blick von Paul zu nehmen, »geh in die Vorratskammer und hole noch eine Flasche Wein. Ich möchte die haben, auf die ein S gemalt ist – der Buchstabe, der wie eine Schlange aussieht.« Sie zeichnete ein S in die Luft.
    Als der Junge in eines der anderen Zimmer der Wohnung fortgehuscht war, seufzte Eleanora und lehnte sich auf dem Diwan zurück. »Du bist also ein Bürger, nicht wahr?«
    Paul war sich nicht sicher, wie sie den Ausdruck gebrauchte. »Möglicherweise.«
    »Bitte.« Sie hob die Hand. »Keine Spielchen. Du bist ein richtiger Mensch. Ein Gast in der Simulation.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Gast bin«, sagte er langsam. »Aber ich bin nicht bloß ein Stück Code, wenn du das meinst.«
    »Ich auch nicht.« Ihr Lächeln war hart und kurz. »Und der Junge übrigens genausowenig, aber was er sonst sein mag, weiß ich nicht so recht. Erzähle mir, warum du ihm gefolgt bist. Mach rasch – ich will nicht, daß er es hört, und obwohl die Flasche, die ich ihn holen geschickt habe, ganz unten im Regal steht, wird er nicht ewig brauchen, bis er sie gefunden hat.«
    Paul erwog die Risiken. Er wollte mehr über die sogenannte Angebetete des Kardinals wissen, aber er hatte keinen Spielraum, um zu taktieren. Sie konnte ein Mitglied der Gralsbruderschaft sein, wie Nandi die Gruppe genannt hatte, ja sie konnte gut und gern Jongleur selbst in anderer Gestalt sein, aber er hatte sich hierherbringen lassen, und das ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Wenn sie die Herrin dieser Simulation war, dann konnte sie wahrscheinlich mit ihm machen, was sie wollte, ob er vor ihr nun seine Karten offenlegte oder nicht. Einerlei von wie vielen Seiten er es betrachtete, letzten Endes war alles doch bloß ein Glücksspiel.
    Aber ich treibe nicht mehr willenlos vor mich hin, erinnerte er sich.
    »Na schön«, sagte er laut. »Ich gebe mich in deine Hände.« Er erzählte ihr, was er bereits Nandi Paradivasch erzählt hatte, aber in noch geraffterer Form. Er wurde einmal von dem völlig eingestaubten Gally unterbrochen, der sich von Eleanora bestätigen lassen wollte, daß es tatsächlich einen Wein mit einem S außen drauf gab und daß es eine der anderen ganz tadellosen Flaschen mit blauen Punkten oder gelben Ixen nicht genausogut täte. Als der Junge grummelnd wieder abgezogen war, schilderte Paul der Frau sein Zusammentreffen mit Nandi; er gab den Namen des Schivaiten nicht preis, aber berichtete ihr alles, was der Mann über den Gral und den Kreis gesagt hatte.
    »… Wenn ich dächte, der Junge wäre nicht in Gefahr, würde ich ihn in Ruhe lassen«, schloß Paul. »Ich will ihm nicht noch mehr Leid zufügen. Aber irgendwelche Leute scheinen hinter mir her zu sein – glaub mir, ich habe keine Ahnung, warum –, und ich denke, wenn sie ihn statt meiner finden, werden sie … werden sie …«
    »Dann werden sie ihn quälen, bis er ihnen alles sagt.« Sie zog verächtlich die Lippen kraus. »Mit Sicherheit werden sie das. Ich kenne diese Leute, oder wenigstens die Sorte.«
    »Du glaubst mir also?«
    »Ich glaube, daß alles, was du sagst, wahr sein könnte. Ob es tatsächlich wahr ist, muß ich erst überdenken. Wo würdest du den Jungen hinbringen, wenn er sich bereitfände, mit dir zu gehen?«
    »Nach Ithaka – oder wenigstens meinte das der Mann vom Kreis. Dort würde ich das Haus des Irrfahrers finden.« Paul schwenkte den Bodensatz des Weines in seinem Becher. »Und wie, wenn ich fragen darf, hat es dich hierher verschlagen?«
    Bevor sie antworten konnte, erschien Gally wieder, noch staubiger als vorher, und hielt triumphierend die Flasche mit dem Schlangenzeichen hoch.
    »Gehen wir doch zur Kuppel hinauf«, schlug Eleanora plötzlich vor. »Es ist zwar ein ziemlicher Aufstieg, aber man hat dort einen herrlichen Ausblick.«
    »Aber ich hab Euch doch grade den Wein gebracht!« Gally stotterte

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