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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schwebten sie abwärts, soweit Renie das feststellen konnte, bis ein mechanisches Schnaufen und Klappern unter ihnen ihr und !Xabbu den nächsten Schreck einjagte.
    »Die Beine werden ausgefahren«, erläuterte Lenore. Während die Libelle mit einem Ruck aufsetzte, blickte sie weiter auf die Anzeigen. »Wir warten einfach ab, bis es dem blöden Vogel zu langweilig wird. Wenn man sich nicht bewegt, bemerken sie einen nicht.«
    Renie verstand diese Leute nicht. Sie benahmen sich, als wäre das alles nichts weiter als ein kompliziertes Spiel. Vielleicht war es das für sie ja. »Warum müßt ihr das machen?« fragte sie.
    Cullen schnaubte. »Damit das Ding uns nicht frißt. Eine elende Zeitverschwendung ist das.«
    »Alles klar«, sagte Lenore. »Er ist auf und davon. Warte zur Sicherheit noch ein paar Sekunden, aber ansonsten sehe ich nur leere Lüfte.«
    Leicht rüttelnd und mit heftigem Flügelschlägen hob die Libelle wieder ab. Cullen peilte abermals die Lichter an, die sich beim Näherkommen als eine senkrechte Wand schimmernder Punkte darstellten. Ein rechteckiger Lichtdurchlaß wurde vor ihnen immer größer, bis er sich als ein großes Tor erkennen ließ, im Vergleich zu dem ihr hindurchfliegendes Luftgefährt winzig klein war. Cullen steuerte die Libelle gekonnt hinein, ließ sie einen Moment schweben und setzte dann auf.
    »Oberstes Stockwerk«, verkündete er. »Mandibeln, chitinige Außenskelette und Damenunterwäsche. Alles aussteigen.«
    Renie verspürte einen jähen Drang, ihn zu ohrfeigen, aber der verging ihr, als sie ihren müden Körper aus dem Sicherheitsgurt pellen und hinter den beiden Libellenpiloten durch die Ausstiegsluke quälen mußte. !Xabbu folgte ihr langsam, sehr bemüht, nicht zu drängeln.
    Das Insektenflugzeug stand in einem weitläufigen Hangar, dessen Außentor gerade mit einem Quietschen zuglitt, das sich nach arg strapazierten Schienen anhörte. Renie dachte an die Militärbasis in den Drakensbergen und mußte sich ins Gedächtnis rufen, daß die Basis im Gegensatz zu diesem Ort real war. Wie alle Anderlandsimulationen war die hohe Halle unglaublich lebensecht, ein Monsterbau aus Fibramicträgern, Plastahlplatten und hektarweise Leuchtstoffröhren beziehungsweise ihren virtuellen Erscheinungen. Die sechs Sims, die angetrabt kamen, um die Libelle zu warten, hatten individuelle und sehr realistische Gesichter. Sie überlegte, ob vielleicht reale Menschen dahinter waren.
    Plötzlich ging ihr auf, daß sie keine Ahnung hatte, ob ihre Retter real waren.
    »Kommt mit zur Einsatzbesprechung.« Lenore winkte. »Die dürfte eigentlich nicht lange dauern, obwohl Angela vielleicht noch ein Wörtchen mit euch reden möchte. Danach kriegt ihr eine Führung.«
     
    Der Stock, wie Lenore den Bau nannte, war eine riesige Installation, die in einen Erdhügel im Wald hineingebaut worden war. Im Vergleich zu den winzigen Menschen war der Hügel noch größer als der Berg, der die Wespennest-Basis enthielt, und Renie sah in dem Ganzen eine unheimliche Parallele zu ihrer RL-Situation. Als sie aus dem Landebereich auf einen langen Korridor hinaustraten, Lenore und Cullen vor ihr mit neckischem Gekabbel beschäftigt, !Xabbu auf allen vieren neben ihr herhoppelnd, fragte sie sich erneut, ob dies so etwas wie eine perfekt gemachte Spielwelt war.
    »Was genau treibt ihr hier eigentlich?« fragte sie.
    »Ach, das haben wir euch noch gar nicht erzählt, was?« Lenore lächelte. »Das muß alles ziemlich merkwürdig wirken.«
    »Insekten«, sagte Cullen. »Wir ham’s mit Insekten.«
    »Das mag für dich gelten, du Scänner«, sagte Lenore. »Was mich betrifft, ich beobachte Insekten.«
    !Xabbu stellte sich lange genug auf die Hinterbeine, um mit den Fingern über die Wand zu streichen und die Oberfläche zu fühlen. »Ist das ein Spiel hier, das Ganze?« fragte er wie ein Echo von Renies Gedanken.
    »So ernst wie ein Herzinfarkt«, versetzte Cullen. »Für Kunohara ist es vielleicht ein Spielplatz, aber für uns Entomologen ist es wie sterben und in den Himmel kommen.«
    »Jetzt bin ich wirklich neugierig«, sagte Renie – und überraschenderweise war sie das auch. Die Sorge um das Schicksal ihrer Gefährten war nicht vergangen, aber Otherland hatte sie wieder einmal überrumpelt.
    »Wenn ihr euch noch einen kleinen Moment geduldet, kriegt ihr alles erzählt. Wir besorgen euch schnell noch Besucherpässe, und dann können wir euch eine ordentliche Führung geben.«
     
    Ganz im Bann der lebensechten

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